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Der Semmelkoenig

Der Semmelkoenig

Titel: Der Semmelkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Hirschel
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die Wohnung in Augenschein nahm. Ihr entging nichts. Claudia dachte ernsthaft darüber nach, ob Georgs Schwester wohl eine Bereicherung für die Spurensicherung wäre. Kopfschüttelnd hatte sie es aufgegeben, Sybille zurückzuhalten. Jetzt steckte sie den Kopf ins Schlafzimmer.
    »Du hör mal, reiß hier nicht alles aus der Verankerung, ja? Ich mein, wir sind total illegal hier und sie muss das nicht gleich merken, oder?«
    »Ach Schmarrn, jetzt hab dich mal nicht so.«
    Sybille hatte einen kleinen Schreibtisch entdeckt und wühlte in den Papieren.
    »Is dir eigentlich schon aufgefallen, dass die Dame des Hauses geplant hatte, wegzufahren?«, rief sie über die Schulter.
    »Du meinst wegen der Koffer hier in der Eingangsdiele? Ja, das is mir aufgefallen. Is mein Job, weißt du?«
    Nachdenklich ging Claudia wieder ins Wohnzimmer. Ein leichter Wind blies vom Garten her und blähte die zarte Gardine. Sie stutzte. Die Tür war offen! Schnell ging sie hin, sah hinaus und wunderte sich wieder. Wenn Frau Klöter vorgehabt haben sollte, zu verreisen, die Koffer schon gepackt hatte, wo war sie dann jetzt? Musste sie noch einmal schnell fort? Aber es war schon nach neun Uhr? Wohin konnte sie zu dieser späten Stunde noch gewollt haben? Und wo war ihr Sohn? Ein knapp Fünfjähriger gehörte ins Bett. Aber auch das Kinderzimmer war leer.
    Claudia trat auf die Terrasse. Dort stand eine Liege. Sie ging auf die Knie, um wie durch Zwang oder Instinkt darunter zu sehen. Da lag was: klein, schwarz, flach und leicht zu übersehen. Sie musste sich hinlegen, um den Gegenstand zu erreichen und zu sich zu ziehen. Ein Handy? Hannes Handy! Sie brauchte es eigentlich nicht zu aktivieren, denn sie wusste, dass es seins war. Trotzdem drückte sie eine Taste. Ein Bild erschien. Etwas unvorteilhaft von oben fotografiert, die Stirn breit mit zwei tiefen Falten, die Nase platt, die Augen wie immer freundlich, ein gezwungenes Lachen und Bad Berging als Hintergrund. Claudias Herz krampfte sich zusammen. Sollte dieser missglückte Schnappschuss das letzte Lebenszeichen ihres Kollegen sein?
    »Claudi?«
    Sie schrie auf, so erschrocken war sie.
    »Verflixt, Sybille, warum schleichst du dich denn so an mich ran. Spinnst denn jetzt total? Ich hab fast ’nen Herzschlag gekriegt«, schnauzte sie, verstummte aber gleich wieder, als sie in Sybilles Gesicht sah. Es war wie versteinert. Schnell krabbelte sie unter der Liege vor, kam auf alle Viere und stand schnell auf, während Sybille ihr wortlos ein Dokument hinhielt. Claudia begann zu lesen. Als sie fertig war, sagte sie erst einmal eine Weile nichts.
    »Is allerhand, nicht wahr?«, ergriff Sybille mit zittriger Stimme das Wort.
    »Tja, nun, scho. Aber überrascht dich das denn wirklich so sehr?«
    Sybille schlug die Hand vor den Mund und begann zu schluchzen. Mitleidig strich Claudia ihr über den Arm.
    »Ah, jetzt komm. Beruhig dich doch. Davon geht die Welt jetzt a ned unter. Bille, hörst mi?«
    »Es … es …«, wütend wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen. »Weiß nicht, ob du des jetzt verstehst. Aber es is so, als ob ich mein Vadder eigentlich überhaupt nie gekannt hab. Ich mein, ich weiß von seine Weibergschichten. Die kennt ja jeder, aber dass er doch tatsächlich gewagt hat, seinen Bastard in der Näh von seinen Enkeln aufwachsen zu lassen, des verletzt mich doch sehr.«
    Sie konnte sich nicht mehr beherrschen und legte die Arme um Claudia, um sich an deren Hals einmal so richtig auszuweinen. Beruhigend streichelte die Kommissarin ihren Rücken.
    »Och, Menno, Bille, des is wirklich scho sehr arschig von ihm. Ich kann’s dir nachfühlen. Aber wir können’s wirklich nicht mehr abstreiten. Des is ein Vaterschaftstest und der is wasserfest. Hm, sieh’s doch amal so, er hat sich wenigstens um seinen kleinen Sohn gekümmert. Wer macht des scho so ohne Weiters? Er is dann doch noch ein guter Vater.«
    »Toll!«, schniefte Sybille. »Und was soll ich jetzt den Zwillingen sagen? Dass sie einen Onkel im gleichen Alter haben?«
    Claudia seufzte und war gleichzeitig froh, dass Sybille langsam wieder ihren Sinn fürs Komische entdeckt hatte. Sie war auf dem Weg der Besserung. Ein Problem weniger. Blieb nur noch Hannes. Er war verschwunden. Hier in diesem Haus – genauer gesagt vor dieser Liege – musste es passiert sein. Angst stieg wieder in ihr auf. Vorsichtig löste sie sich aus Sybilles Umarmung und versuchte, ihren Chef zu erreichen.

107
    »So junger Mann, hier is deine heiße

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