Der Semmelkoenig
bereits Viertel nach sechs.
»Nein, jetzt! Du sollst dich noch nicht abschnallen. Es kann jederzeit ein betrunkener Autofahrer hinten draufknallen! Nein, Oskar! Nein!«
Aber offensichtlich war da nichts mehr zu machen. Die genervte Mutter – die Tüten in der Hand – hastete um den Wagen, während ihr Sprössling begonnen hatte, gegen dessen Innenverkleidung zu treten. Es wäre wirklich klüger gewesen, zuerst den Sohn aus dem Auto zu lassen, auch auf die Gefahr hin, dass der potenzielle betrunkene Autofahrer statt gegen den Kombi auf den Gehsteig gerast wäre. Schnell und mit einem »Nein, Oskar! Nein!« auf den Lippen stellte sie die Tüten auf den Gehsteig, um die Tür mit der Kindersicherung zu öffnen. Ein kleiner, blonder Junge hüpfte auf die Straße, sah Hannes und streckte ihm die Zunge heraus. Das war ja wohl die Höhe! Bevor der Polizeibeamte aber reagieren konnte, merkte er, dass Kommissar Maus auch ausgestiegen und neben ihn getreten war.
»Das ist ja …«, anklagend schaute er den Vorgesetzten an, der sich ein Grinsen gerade noch verkneifen konnte.
»Nein, Oskar! Nein!«, ging der monotone Singsang weiter, als Mutter und Sohn zwischen den Büschen verschwanden.
Hannes war genervt. Eigentlich hatte er sich bis vor wenigen Minuten noch als edler Ritter gefühlt, der seine leicht weggetretene Jungfrau in ihre Gemächer geleiten wollte, musste jetzt aber einsehen, dass es unhöflich gewesen wäre, wenn er Maus Hilfe ausgeschlagen hätte. Resigniert blickte er auf die Klingelschilder am Tor. Da stand zweimal der Name »Möller« und kein »Hubschmied«.
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»Oh, Sybille!«
Wolfgang ließ sich nur allzu bereitwillig von der verführerischen Frau in die Arme nehmen. Das tat gut. Das spendete Trost. Das beruhigte.
»Mein armer, armer Schatz«, flüsterte sie und ließ ihre Lippen spielerisch über seine Wange gleiten. »Du hattest ja so einen schlimmen Tag. Hast ja schließlich die Heidi gefunden. Hm, da muss ich wohl ganz lieb zu dir sein!«
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»Ja, mei. Hm!«, Maus schaute auf die Klingelschilder. »Ich weiß auch nicht, welches jetzt zum Junior und welches zum Alten gehört. Aber anzunehmen ist ja wohl, dass das obere Stockwerk oft den Kindern gegeben wird. Also würd ich es da mal …«
»Hey, ich hab zwar einen kleinen Schwips, aber immer noch meinen eignen Schlüssel!«, machte sich Claudia Hubschmied triumphierend bemerkbar.
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Wolfgang – die wohlig schnurrende Sybille am Hals – wollte gerade die Tür hinter sich schließen, als sein Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite fiel. Dort stand – nein – dort hing seine Cousine am Arm eines fremden Mannes. Daneben bückte sich gerade ihr Chef über das Schloss zum Auffahrtstor.
»Was macht denn die Claudi hier?«, murmelte er erstaunt in Sybilles verdammt gut duftendes Haar.
»Was meinst?«
Er musste kichern, denn sie begann an seinem Ohrläppchen zu knabbern.
»Na, meine Cousine, die Claudia!«
Er hatte mittlerweile die Tür geschlossen und spähte durch die bunte Zierglasscheibe. Die drei Personen auf der anderen Seite wechselten jetzt zwischen blau, grün und wenn er sich nach links drehte, kam noch ein Rotstich hinzu.
»Die wohnt doch seit ein paar Wochen mit meinem Bruder, dem Schorschi, zusammen. Haste das vergessen?«, schnurrte Sybille leise und ließ dabei ihre geschickten Hände in seinem Hosenbund verschwinden, was nicht sehr dazu beitrug, dass Wolfgang weiterhin in der Lage war, klar zu denken, geschweige denn, sich noch an irgendetwas zu erinnern. Lustvoll aufstöhnend umfasste er ihre Hüften und presste sie an sich.
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»Möchten Sie wirklich mitgehen?«, fragte Hannes zaghaft. Er wollte es zumindest doch einmal versucht haben, den Kommissar darauf hinzuweisen, dass er sehr wohl in der Lage war, Claudia allein zu helfen. Schließlich war er mittlerweile ihr Partner. Maus zog etwas irritiert die Augenbrauen hoch.
»Wieso fragen Sie? Natürlich komme ich mit. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte, lebt in diesem Palast nicht nur Frau Hubschmied, sondern auch die Person, mit der wir unbedingt sprechen sollten!«
Einige Sekunden lang entglitten Petersen die Gesichtszüge. Wie konnte er nur so blind gewesen sein? Aber natürlich! Das war die Villa vom Bäckermeister Möller: Der Mann, der mittlerweile nicht nur der Dreh- und Angelpunkt der örtlichen Wirtschaft, sondern auch ins Zentrum ihrer Ermittlungen gerückt war.
»Oh, Junge, Junge, wie konnte ich das nur übersehen?«
Die Situation war
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