Der silberne Falke - Fox, K: Der silberne Falke: Historischer Roman
schlug ihr entgegen. Die Luft roch nach staubiger Erde und Blütenduft, der Himmel war grau verhangen. Wie ein Fünfjähriger hockte David im spärlichen, verdorrten Gras vor der Hütte und spielte mit Kieseln. Enid schüttelte traurig den Kopf. Er hatte den Körper eines Mannes, aber den Geist eines Kindes, und das würde sich niemals ändern.
Nein, dachte sie bei dem friedlichen Anblick, es kann nicht falsch sein, hier leben zu wollen. Es ist gut für David und mich gewesen, und es wird auch gut für unser Kind sein.
Enid ging zu ihrem Bruder hinüber, strich ihm liebevoll über den blonden Schopf und sog genießerisch die schwere Luft ein. Solange das Kind klein war, würde sie wie auch früher bei David stets darauf achten, dass es nichts Giftiges in den Mund steckte. Und wenn es älter war, würde sie ihm beibringen, Tiere und Pflanzen zu verstehen, denn wenn man eins war mit dem Wald, dann war er nahezu ein Paradies. Voller Hoffnung hielt Enid Ausschau nach William, doch er kam nicht.
Als es Abend wurde, kroch eine unerklärliche Angst in ihr hoch. Ob sie ihn für immer verloren hatte? Es war nicht die erste Nacht, die William im Wald verbrachte, doch er war nie im Streit fortgegangen. Sie warf einen letzten sehnsüchtigen Blick nach draußen. »W ill « , seufzte sie leise, ermahnte David, hereinzukommen, und schloss dann enttäuscht die Tür.
Wie jeden Abend bereitete sie das Nachtmahl. David hatte ohnehin ständig Hunger. Er konnte jederzeit essen und schlang in sich hinein, was auch immer sie ihm vorsetzte. Enid dagegen war zu niedergeschlagen, um Hunger zu verspüren. Sie musste sich zwingen, wenigstens ein paar Löffel Nahrung zu sich zu nehmen. Das Kind in ihrem Leib sollte nicht darben müssen, nur weil sie sich mit William gestritten hatte. Sie stellte seine Schüssel und seinen Becher an den Platz, an dem er für gewöhnlich saß, und füllte sie, in der Hoffnung, dass er doch noch käme.
Als David seinen Brei ausgelöffelt hatte, zeigte er auf Williams Essen und sah sie fragend an.
Enid runzelte erst erbost die Stirn, nickte dann aber doch.
Wie ein hungriges Tier stürzte sich David auf die zweite Portion. Als er auch sie vertilgt hatte, beugte er sich satt und zufrieden zu Enid, damit sie ihm, wie jeden Abend, die Stirn zur Nacht küsste. Dann legte er sich auf sein Lager, wickelte sich in seine Decke und drängte sich dicht an die Wand. Nur so vermochte er zu schlafen.
Enid blieb noch eine Weile an dem großen Holztisch sitzen, den Nanas Mann einst gefertigt hatte. Im Grunde war er viel zu gewaltig für die kleine Hütte, doch er tat Enid gute Dienste, wenn sie bergeweise Kräuter sortierte. Nachdem sie den selig schlafenden David noch eine Weile voller Zuneigung betrachtet hatte, starrte sie grübelnd in das kleine flackernde Talglicht. Es erhellte den Raum nur mäßig und warf unruhige Schatten an die Wände.
Je länger Enid dasaß, desto schwerer wurde ihr Kopf. Schließlich sackte er nach vorn, und sie fuhr hoch. Waren da nicht Geräusche, als machte sich jemand draußen an der Hütte zu schaffen?
»W ill, endlich! « Überglücklich sprang sie auf, schob den Holzriegel hoch und riss die Tür auf. Wie vom Blitz getroffen stand sie da.
Es war nicht William, den sie gehört hatte. Drei junge Ritter mit ihren Pferden standen vor der Hütte. Einer von ihnen streckte ihr ruckartig eine Fackel entgegen, ein zweiter, seinem Gehabe nach der Anführer, trat auf sie zu.
Enid wich unwillkürlich zurück. Mit seinen breiten Schultern füllte der Mann die Türöffnung fast vollständig aus. Sein bartloses Gesicht wirkte frisch und glatt. Die weizenblonden Haare trug er nach Normannenart dicht über dem Ohr abgeschnitten. Er warf einen kurzen Blick an ihr vorbei in die Hütte und nickte dann zufrieden. Als er sich einem seiner Begleiter zuwandte, spiegelte sich die Flamme der Fackel in seinen blauen Augen und ließ sie aufleuchten.
»B evis soll die Pferde festmachen, wir bleiben heute Nacht hier « , befahl er und grinste Enid breit an. »W enn Ihr nichts dagegen habt, Gnädigste « , fügte er hinzu und deutete eine kleine Verbeugung an.
Enid ahnte, dass er sich über sie lustig machte, trotzdem fürchtete sie sich nicht vor dem blonden Ritter. Er sieht zu gut aus, um böse zu sein, dachte sie, trat einen weiteren Schritt zurück und ließ ihn ein.
Der Mann mit der Fackel löschte das Feuer und folgte ihm. Auch der, den der erste Bevis genannt hatte, kam herein. Seine beiden Begleiter sahen,
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