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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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tausendfacher Tod und dann die Daimonen. Eine Staubwolke, aus der das große Heer der Hakul mit blitzenden Speeren hervorbrach und auf eine lange
schwarze Mauer aus Schilden und Speeren zuhielt. Ein Reiter auf einem weißen Pferd. Der Lichtstein. Dann er selbst, bis zur Hüfte im Wasser. Und dann Bilder aus Vergangenheit und Zukunft, fremde Städte, ferne Meere und unbekannte Länder. Dazwischen vertraute Gesichter. Eri, Wela, Merege, die ihn kühl ansah, und dann wurde Merege zu Norgis, die ihn auslachte, Norgis, die ihm unverständliche Worte ins Ohr flüsterte, Norgis, die ihn in Eis erstarren ließ, aus der Hütte schleifte und den Wölfen zum Fraß vorwarf. Norgis, die im Dickicht des Waldes verschwand. Die Welt bewegte sich. Sie schaukelte. Awin wurde übel. Er öffnete die Augen.
     
    Er saß auf einem Pferd. Es war aber nicht seines. Es war Nacht, vor ihm ritten Hakul. Er wandte sich um.
    »Halt«, rief eine helle Stimme. »Er ist endlich wach!«
    Awin blinzelte. Die Stimme erschien ihm vertraut. Er wollte absteigen, aber er konnte nicht.
    »Nur ruhig, mein Freund«, sagte jemand. »Wir mussten dich festbinden, damit du uns nicht vom Pferd fällst.«
    »Yaman Jeswin?«, fragte Awin.
    »Wer sollte ich wohl sonst sein? Bringt eine Fackel. Wir wollen rasten und ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen.«
    »Wo bin ich, und was ist denn geschehen?«, fragte Awin.
    »Wir sind immer noch im Femewald, doch Praane sagt, die Jurma sei nicht mehr weit. Noch vor dem Morgen können wir sie erreichen«, erklärte Jeswin.
    Jemand half Awin aus dem Sattel. Er fühlte sich schwach. Jeswin fuhr fort: »Was aber geschehen ist - nun, ich nehme an, dein Teil der Geschichte ist weit aufregender als der unsere, denn wir irrten nur weiter durch den Wald und merkten erst spät, dass du nicht mehr bei uns warst. Wir hielten an und suchten dich, als der Nebel endlich wich. Dann erschien der Wolf.
Lamban wollte ihn töten, doch Mahuk verbot es ihm. Angeblich hat Yeku gesagt, dass dieser Wolf uns zu dir führen würde. Das war schwer zu glauben, und obwohl es stimmte, glaube ich es immer noch nicht. Wir fanden dich im Gras. Deine Kleider und Waffen lagen neben dir. Und deine Haut, nun, du weißt schon …«, endete Jeswins kurze Erzählung.
    »Nun lasst ihm doch ein wenig Luft zum Atmen«, rief Wela. Awin hatte sie noch gar nicht bemerkt. Jetzt sah er im Fackelschein in ihr besorgtes Gesicht. »Geht es dir gut, Awin? Was ist denn nur geschehen? Ich fürchtete schon, du würdest nie wieder erwachen, aber Mahuk meinte, es sei nur eine Frage der Zeit.«
    »Yeku ist enttäuscht. Er hofft, dein Geist ertrinkt«, erklärte Mahuk mit einem breiten Lachen und schlug Awin auf die Schulter.
    Awin schloss die Augen. Ertrinken, ja so muss sich das anfühlen , dachte er. Dann schlug er die Augen wieder auf. »Was meintest du mit ›nie wieder erwachen‹, Wela? Wie lange habe ich denn geschlafen?«
    »Beinahe zwei Tage, mein Junge«, rief Tuge und schlug ihm ebenfalls kräftig auf die Schulter.
    »Zwei Tage«, murmelte Awin. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass es nur zwei Tage gewesen waren. Er hatte Bilder für ein ganzes Leben gesehen. Dann begann er zu erzählen, was ihm widerfahren war, wie er den Sger aus dem Auge verloren hatte und Norgis begegnet war.
    »Ahnmutter Norgis?«, rief Merege erstaunt. »Das ist nicht möglich! Sie muss seit Jahrhunderten tot sein!«
    »Lass ihn doch reden, Kariwa!«, forderte Wela.
    Aber das fiel Awin schwer. Die Vielzahl bedrückender Bilder mischte sich mit dem, was er tatsächlich erlebt hatte. Merege! Er hatte sie sterbend in den Schnee sinken sehen. Aber das konnte er ihr doch nicht sagen. Er gab einen kurzen und groben
Bericht seiner Erlebnisse an den Riesenfelsen und schloss mit den Worten: »Das Wichtigste ist, sie hat mir geholfen, meine Sehergabe wiederzugewinnen.«
    »So bist du wirklich der Behüterin begegnet?«, fragte Praane, der ihn die ganze Zeit schon mit großen Augen anstarrte.
    Awin nickte.
    »Hat sie … hat sie etwas über uns gesagt?«, fragte der Ore.
    »Es wird Leben kosten, wenn ihr weiter in ihrem Wald siedelt, Praane. Das Unsichtbare Volk, es opfert ihr zur Sonnenwende Menschen«, erklärte Awin knapp.
    Praane erbleichte, aber er nickte, als habe er das bereits geahnt.
    »Und Raiwe?«, fragte Jeswin in die Stille, die diesem Satz folgte.
    »Auch ihn«, bestätigte Awin den Verdacht.
    Jeswin trat einen Schritt zurück. »Du hast deine Gabe wieder, sagst du - war Raiwe etwa der Preis

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