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Der Spion der mich liebte

Titel: Der Spion der mich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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mich nicht mehr beherrschen.
    Ich brauchte eine halbe Stunde, um mich einigermaßen zu erholen. Am liebsten hätte ich mich auf mein Bett geworfen und gewartet, bis die beiden endlich Schluß mit mir machten. Doch allmählich erwachte mein Lebenswille wieder, als ich mich anzog und mein Haar bürstete. Leise begann sich in mir der Gedanke zu regen, daß ich vielleicht das Schlimmste überstanden hatte. Wenn nicht, weshalb war ich dann noch am Leben? Sluggsy wußte so gut mit seinem Revolver umzugehen, daß er mich bestimmt mit Leichtigkeit hätte erschießen können, als ich hatte davonlaufen wollen. Seine Kugeln hatten mich um Haaresbreite verfehlt, wahrscheinlich absichtlich, um mir einen Schrecken einzujagen.
    Ich zog meinen weißen Motorradanzug an und steckte meine Geldbörse in eine der Taschen - nur für den Fall. Für welchen Fall? Eine zweite Fluchtmöglichkeit würde es nicht geben. Und dann schleppte ich mich hinüber ins Hauptgebäude. Es war elf Uhr. Der Regen hatte ganz aufgehört. Der Mond hing zwischen rasch dahintreibenden Wolkenfetzen, tauchte den Wald von Zeit zu Zeit in bleiches Licht. Sluggsy lehnte im Türrahmen und kaute auf seinem Zahnstocher. Als ich näher kam, machte er mir Platz.
    »So ist's recht. Wie aus dem Ei gepellt. An manchen Stellen tut's wohl noch 'n bißchen weh, was? Mußt eben heute nacht auf dem Rücken schlafen. Aber das paßt uns beiden ja recht gut, nicht wahr, Baby?«
    Als ich nichts erwiderte, packte er mich am Arm. »He, he! Warum so    stolz,    Zuckerpuppe? Dir fehlt    wohl    die
    Ausgleichsbehandlung    auf der anderen Seite?« Er    machte    eine
    drohende Bewegung mit der rechten Hand. »Tut mir leid.« »Okay, okay.« Er ließ mich los. »So, jetzt geh 'rein und stell dich an den Herd. Und laß dir ja nicht einfallen, mich oder meinen Freund Horror zu reizen. Schau mal, wie du den verunstaltet hast!«
    Der magere    Mann    saß an seinem alten    Tisch.    Die
    Hausapotheke stand vor ihm. Über seiner rechten Schläfe prangte ein    breites    Pflaster. Ich streifte ihn    mit einem
    ängstlichen Blick und ging hinter die Theke. Sluggsy setzte sich zu ihm, und sie begannen mit leiser Stimme miteinander zu sprechen. Als ich den Kaffee und die Eier zubereitete, spürte ich, daß ich Hunger hatte. Ich konnte das nicht verstehen. Seit die beiden Männer durch die Tür getreten waren, hatten mich Furcht und Schrecken so verkrampft, daß ich nicht einmal einen Schluck Kaffee hinuntergebracht hätte. Natürlich war mein Magen jetzt leer, weil ich erbrochen hatte, doch auf eine seltsame, recht beschämende Weise fühlte ich mich durch die Prügel, die ich bezogen hatte, entspannt und gelöst. Der Schmerz, der viel stärker gewesen war als die Spannung, mit der ich ihn gefürchtet hatte, hatte meine verkrampften Nerven gelockert. Ich spürte ein eigentümliches Gefühl von Wärme und Frieden. Natürlich war ich noch immer verängstigt, doch ich hatte nicht mehr das Bedürfnis, mich gegen die Gefahr aufzulehnen. Ich war unterwürfig, fatalistisch. Und gleichzeitig meldete mein Körper, daß er Nahrung brauchte. Er wollte seine Kraft zurück, er wollte leben. Ich machte Rühreier, Kaffee und Toast für die beiden Männer und mich, und nachdem ich ihnen ihr Essen gebracht hatte, setzte ich mich hinter die Theke, damit sie mich nicht sehen konnten, und begann zu essen. Danach steckte ich mir eine Zigarette an. In dem Augenblick, als ich sie anzündete, wußte ich, daß das unklug war. Es lenkte die Aufmerksamkeit auf mich. Schlimmer noch, es bewies, daß ich mich erholt hatte, daß es sich wieder lohnte, mich zu quälen. Doch das Essen und die einfache Handlung, es zu verzehren, hatten mich beinahe berauscht. Es war ein Teil des alten Lebens, wie es gewesen war, ehe diese Männer erschienen waren. Jeder Bissen - die Gabel voll Ei, das Stück Schinken, die Brotkrumen - war etwas Wunderbares, das all meine Sinne gefangennahm. Schon die Tatsache, daß man lebte, war köstlich. Wenn ich mit dem Leben davonkommen sollte, würde ich dankbar sein für jeden Atemzug, den ich tat, für jede Mahlzeit, die ich aß, für jede Nacht, in der ich die kühle Berührung der Laken spüren konnte. Warum hatte ich all das nicht schon früher gewußt? Warum hatten meine Eltern, meine verlorene Religion es mich nicht gelehrt? Nun, ich wußte es jetzt. Ich hatte es selbst entdeckt. Die Liebe zum Leben wird aus der Erkenntnis des Todes geboren, aus dem

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