Der Sprung ins Jenseits
Saturn, hat einen Durchmesser von mehr als fünftausend Kilometern und ist eine Million zweihundertzwanzigtausend Kilometer vom Saturn entfernt. Er besitzt eine Atmosphäre. Es sollte leicht sein, ihn zu finden.«
»Danke, das genügt mir. Lebe wohl, Alan. Auf Wiedersehen, Dr. Halström.«
Er lächelte uns beiden zu und schloß die Augen.
Sekunden später hatte Yüs Seele seinen Körper verlassen. Ich sah Dr. Halström an.
»Nun können wir nichts anderes tun als warten, lieber Doktor.«
Der Astronom nickte.
»Gehen wir hinunter in mein Arbeitszimmer. Ich brauche einen großen Whisky.«
Drei Tage später schlief Yü immer noch. Wenn ich heute an diese drei Tage zurückdenke, so muß ich gestehen, daß es die längsten meines Lebens waren. Nie zuvor hatte ich mich so einsam und verlassen gefühlt. Immer wieder ging ich hinauf in Yüs Zimmer, der dort regungslos auf dem Bett lag. Er schien tot zu sein. Ich hatte mich an seine neue Gestalt gewöhnt, und sie war mir fast so vertraut wie die des Mönches.
Yü kehrte nicht zurück.
In diesen Tagen bewies Dr. Halström, daß er Charakter hatte. Statt sich über das Mißlingen unseres Experiments zu freuen, das seine heimlich gehegten Zweifel nur bestätigt hätte, fühlte er mit mir und versuchte, mich zu trösten.
Am dritten Tag sagte ich zu ihm:
»Ich begreife das nicht. Es muß etwas Unvorhergesehenes geschehen sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Ich warte noch einen Tag, dann werde ich versuchen, ihm zu folgen.«
Dr. Halström legte seine Hand auf die meine.
»Wohin wollen Sie ihm denn folgen? In den Tod? Bitte mißverstehen Sie mich nicht. Mich schrecken nicht die Schwierigkeiten, die ich bekommen werde, wenn man in meinem Haus plötzlich zwei leblose Körper findet. Damit werde ich fertig. Aber ich möchte nicht, daß es Ihnen so geht wie Ihrem Freund. Ich würde vorschlagen, einen Arzt zu Rate zu ziehen.«
»Einen Arzt?« fragte ich. »Wie sollten wir ihm die Situation erklären?«
»Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Ich habe einen guten Freund, der Mediziner ist. Wir können uns darauf verlassen, daß er die Sache mit Diskretion behandelt, wenn wir ihn darum bitten.«
Wir warteten bis zum anderen Tag. Yü lag da und rührte sich nicht. Da ließ Dr. Halström den Arzt kommen.
Dr. Frederik war ein sympathischer junger Mann, zu dem ich sofort Vertrauen faßte. Bei einem Glas Whisky klärten wir ihn auf, und Dr. Frederik nahm die ungeheuerliche Tatsache mit einer derartigen Gelassenheit hin, daß die Reihe zu staunen nun wiederum an mir war.
»Also Seelenwanderung«, murmelte Dr. Frederik. »Bewußte und regulierte Seelenwanderung! Eigentlich phantastisch, obwohl sie schon unseren Vorvätern bekannt war. Woher stammt denn die Sitte, einen Toten drei Tage aufzubewahren, ehe man ihn beerdigt oder verbrennt? Wegen des zu befürchtenden Scheintodes, der nichts anderes ist als der Spaziergang einer Seele, die zufällig den Weg aus dem Körper fand und wieder zurückkehren möchte? Ist es der Trauer wegen? Ist es ein religiöses Ritual? Ich glaube vielmehr, daß es eine unbewußte Erinnerung an jene Zeit ist, in der die Menschen mehr wußten als heute. Oder denken Sie an den Wahnsinn! Eine Seele schlüpft in einen Körper, dessen eigene Seele sich dem Versuch, sie zu verdrängen, widersetzt. Der Kampf der beiden Seelen muß auf Kosten des Verstandes gehen. Schizophrenie! Zwei Seelen in einem Körper, die sich in ihrer Herrschaft ablösen. Vielleicht können Seelen, die einst in großen Persönlichkeiten gelebt haben, sie formten, nun die Macht über einen gewöhnlichen Sterbenden übernehmen und sich dann – unbewußt wahrscheinlich – an ihr früheres Dasein erinnern. Und dann ist da noch die uralte Erinnerung an die Unsterblichkeit. Der Himmel – das ewige Leben …«
Er stockte und nahm einen tiefen Schluck. Er sah Dr. Halström an, und langsam wanderte sein Blick zu mir. Ich nickte ihm zu.
Er lächelte und fuhr fort:
»Ja, Sie sehen, daß ich Ihre Geschichte recht gefaßt aufnehme. Ich habe es eigentlich schon immer gewußt, daß sich die Seele vom Körper trennen läßt, aber ich habe niemals zu hoffen gewagt, es wäre einem Menschen bereits gelungen. Nun ist es geschehen.« Er lehnte sich zurück. »Darf ich unseren Patienten sehen?«
Dr. Halström erhob sich und ging voran. Ich bildete den Abschluß.
Mir schien, daß Yü blasser geworden war. Dr. Frederik nahm sein Stethoskop und lauschte. Dann richtete er sich wieder
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