Der Steinwandler pyramiden2
hier stehen und mir solche Worte anhören zu müssen«, sagte er. »Ich habe mein Leben um dich herum aufgebaut, Tirzah, ich habe alle meine Träume um dich als meine Lebenshoffnung herumgewoben. Und nun sagst du… es ist vorbei.«
Er ließ die Arme sinken und ging.
Ich saß die ganze Nacht an Boaz’ Bett und den ganzen nächsten Morgen. Das Fieber hatte ihn jetzt endgültig gepackt, und am Mittag des nächsten Tages schwitzte er, stöhnte und warf sich phantasierend im Bett hin und her.
»Wir können nichts tun, Tirzah«, sagte Isphet. »Er muß seinen Kampf gegen die Entzündung alleine austragen.«
Wir hatten ihn zuvor gewaschen und waren entsetzt über die flammend roten Striemen gewesen, die sich über seinen Bauch und die Flanken hinunter ausgebreitet hatten. Sein Bauch war geschwollen, hart und heiß; innere Blutungen, von der Entzündung noch verstärkt, waren die Ursache.
»Tirzah, komm weg hier.« Isphets Griff um meine Schultern verstärkte sich noch. Zabrze kam, um meinen Platz an Boaz’ Seite einzunehmen, während Isphet mich hinaus führte.
»Tirzah, er stirbt.«
»Nein!«
»Tirzah, er stirbt! Glaube mir! Es gibt keine Kräuter mehr, die ich ihm geben kann, nichts, das ich tun könnte. Du mußt dich damit abfinden. Wir können versuchen, es ihm erträglich zu machen, aber um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, daß uns das noch lange gelingen wird. Er wird nichts mehr bei sich behalten können…«
Ich brach in Tränen aus, und Isphet nahm mich fest in die Arme. »Ich habe nicht gewußt, daß er dir so viel bedeutet«, flüsterte sie, streichelte mein Haar und tröstete mich. »Du hast es so gut verborgen. So gut.«
»Ich wünschte, er könnte verstehen, was ich ihm sage«, schluchzte ich. »Ich will ihm sagen, daß ich ihn liebe – ich habe ihm das nie richtig gesagt. Aber er wird es nicht hören, er wird es nicht hören…«
»Ruhig, Tirzah. Er weiß es, da bin ich mir sicher. So, du mußt jetzt eine Weile hier sitzen. Zabrze braucht Zeit, um sich zu verabschieden, und ich werde ihm Gesellschaft leisten. Wenn es Boaz schlechter geht, schicke ich nach dir, aber jetzt mußt du dich ausruhen. Sieh, da kommt Holdat, er bringt dich an einen schattigen kühlen Platz.«
Sie übergab mich Holdats Obhut. Der Mann sah fast so verzweifelt aus, wie ich mich fühlte, und er führte mich hinter die Aufbauten, so daß wir im Schatten der Sonnensegel sitzen konnten. Kiamet war auch da, und eine Zeitlang schwiegen wir zusammen.
»Tirzah«, sagte Kiamet schließlich. »Es ist eine seltsame Bitte, aber vielleicht fühlst du dich dann besser, und ich weiß, daß es Holdat und mich trösten würde. Wenn du und Boaz in der Nacht am Fenster gesessen habt, hast du ihm manchmal Geschichten aus einem alten Buch vorgelesen. Holdat und ich« – er sah seinen Freund betreten an – »standen dann für euch unsichtbar draußen und hörten zu. Würde es dich trösten, aus dem Buch der Soulenai vorzulesen?«
»Nicht das Lied der Frösche«, sagte ich.
»Nein, nicht das Lied der Frösche. Aber da muß es doch noch viele andere geben, die du noch nicht gelesen hast.«
»Also gut. Holdat, hast du den Kasten noch…?«
Aber Holdat hatte den Kasten bereits aus dem Nichts hervorgezaubert, und legte das Buch auf meinen Schoß. Ich strich mit den Händen darüber, fühlte sein Alter, sein leises Flüstern, dann schlug ich es an irgendeiner Stelle auf, so wie ich es immer getan hatte, wenn ich Boaz vorlas.
Es war eine Geschichte, die mir neu war, aber das war nicht ungewöhnlich, denn das Buch war sehr dick, und ich hatte noch keine Zeit gehabt, es ganz zu lesen.
»Ach«, sagte ich, »es ist eine traurige Geschichte über den Tod eines Königs.«
Stille, und ich konnte spüren, wie sich Kiamet und Holdat ansahen.
Ich holte tief Luft. »Aber Isphet sagt, ich muß mich damit abfinden, daß Boaz…«
»Tirzah«, meinte Kiamet, »vielleicht ist es besser, du liest doch nicht…«
»Nein«, widersprach ich entschieden, dann entschuldigte ich mich für meine Schroffheit. »Ich glaube, ich werde es doch lesen, Kiamet. Vielleicht wird es mir Trost spenden.«
Und so las und übersetzte ich. Ich war stolz darauf, daß meine Stimme nicht brach, denn die Geschichte begann mit der tragischen Verwundung eines großen und guten Königs in einer Schlacht, für die er nicht verantwortlich war.
Und so trugen ihn seine Diener nach Hause, und sein Volk klagte und bereitete sich, so gut es ging, auf seinen Tod vor. Er war schwer
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