Der Steinwandler pyramiden2
oder fünfzehn Ebenen unter der obersten Stufe, und ich ging zur Brüstung und schaute nach oben. Die Sonne stand fast genau über uns.
Als ich den Blick senkte, hielt ich vor Staunen den Atem an.
Der Nebel hatte sich aufgelöst, und ich konnte sehen, daß sich ein breiter Fluß durch die Kluft wand. Zu beiden Seiten erstreckten sich schmale Felsstreifen, aber der Boden war fast vollständig mit dunkelgrünem Wasser bedeckt.
»Niemand hat je seine Tiefen ergründet«, sagte Isphet leise neben mir. »Die Kluft führt weiter in die Tiefe.« Sie warf Boaz einen Seitenblick zu. »Vielleicht sogar bis in die Unendlichkeit.«
»Es ist ein Ort großer Macht«, sagte Solvadale. »Noch viel größerer Macht, als du denkst, Isphet.«
Und damit führte er uns wieder zurück zur Treppe und stieg weiter hinab.
Er legte alle halbe Stunde eine Pause ein, immer an einem Balkon, damit wir zu Atem kommen und die müden Beine ausruhen konnten. An allen Absätzen zweigten Gänge ab. Ich ging davon aus, daß man uns am Ende in einer der Stufen zu unseren Unterkünften führen würden.
Wie sich herausstellte, war es die nächste.
Als wir zu dem Absatz kamen, ging ich wie von selbst auf den Balkon zu.
»Nein«, sagte Solvadale scharf. »Warte. Hier verlasse ich euch. Isphet, morgen darfst du deinen Freunden die Kluft zeigen. Doch heute nach dem Mittagessen möchte ich, daß du Yaqob, Tirzah und Boaz in den Wassersaal bringst; dort wollen ich und einige andere Weise mit euch sprechen. Weißt du noch, wo er ist? Kannst du den Weg dorthin finden?«
»Ja, Weiser.«
»Gut.« Er lächelte. »Dann begrüße deinen Vater.«
Sie stieß einen leisen Schrei aus und fuhr in die Richtung herum, in die Solvadale blickte.
Ein Mann kam aus einem der Gänge. Hager und mit grauen Augen hatte er Isphets zwingenden Blick und Ausstrahlung.
»Vater!« Isphet warf sich dem Mann in die Arme, und er drückte sie fest an sich.
Ich wollte sie nicht stören und sah zu der Stelle zurück, an der Solvadale gestanden hatte, aber er war verschwunden. Ich runzelte die Stirn. Er hätte an mir vorbeigehen müssen, um einen der Durchgänge zu erreichen, erst recht die Treppe.
»Ein Kind, Isphet?« hörte ich ihren Vater fragen und drehte mich wieder um.
»Ach«, sagte Zabrze und trat zu ihnen. »Das sollte ich erklären.«
Und das tat er dann auch.
Isphet stellte uns Eldonor, ihren Vater, vor, und er ergriff unsere Hände mit echter Freude, obwohl ich sehen konnte, wie sehr er sich wünschte, mit Isphet allein sein zu können.
»Solvadale bat mich, euch eure Unterkünfte zu zeigen«, sagte er. »Folgt mir.«
Eldonor führte uns durch einige geräumige und gut erleuchtete Gänge, die nicht nur von in die Felswände geschnittenen Fenstern erhellt wurden, sondern auch durch Lichtschächte, wie es sie in der Pyramide gab. Mich fröstelte, und ich zwang mich, nicht mehr an die Pyramide zu denken.
Das Gestein wies überall dieselbe rosenfarbene Tönung auf – im Inneren war die Farbe vielleicht etwas kräftiger als an den Außenwänden der Kluft – und schimmerte warm im Sonnenlicht.
Eldonor blieb am Eingang zu einem Raum stehen und wies ihn Yaqob zu. Zwei Türen weiter blieb er wieder stehen und zeigte auf Boaz und mich.
Eldonor hatte eine scharfe Beobachtungsgabe, denn keiner hatte etwas von unserer Beziehung gesagt. Aber vielleicht hatten die Weisen es auch aus der Ferne gesehen und ihn dementsprechend angewiesen.
»Hier könnt ihr euch frischmachen«, sagte Eldonor und deutete auf das geräumige Gemach. »Am Ende dieses Ganges ist ein kleiner Speisesaal. Bitte gesellt euch als meine Gäste zu mir, sobald die Sonne untergegangen ist.«
Damit verließ er uns.
Das Gemach war schlicht aber ausreichend möbliert; davon zweigte ein kleinerer Raum ab, in dem man sich waschen konnte. Er enthielt ein großes, in den Boden eingelassenes Bad, und ich seufzte selig, als ich es entdeckte. Im Hauptraum lagen frische Leinentücher und Gewänder bereit, und in einer Schale auf einem niedrigen Tisch trieben Blumen im Wasser – rosa und goldene Wasserlilien.
Boaz und ich teilten uns das Bad, wuschen einander die Haare und lachten, als die Seife in unsere Augen rann. Es tat gut, sich den Staub von drei Wochen abwaschen zu können.
»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich dich das letzte Mal für mich alleine gehabt habe«, sagte er und küßte den Schaum von meiner Schulter.
»Aber du darfst dich nicht daran gewöhnen«, erwiderte ich.
»Ich habe daran
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