Der stumme Handlungsreisende
Schlüssel und machte mich auf den Weg nach
Beech Grove.
Als ich aus dem Wagen stieg,
nahm ich zu meiner Überraschung eine Bewegung auf der Veranda von
Linn Pighees Haus wahr. Ich ging darauf zu und sah Mrs. Thomas die Tür
hinter sich schließen. Dann drehte sie sich um und bemerkte mich
ebenfalls.
»Hallo, Mrs. Thomas«,
sagte ich, um zu zeigen, daß ich ihr nichts nachtrug.
»Wenn Sie gekommen
sind, um meine Schwägerin zu besuchen - sie schläft noch«,
sagte Mrs. Thomas.
»Nicht in der Kirche?«
»Sie schläft immer
lange«, sagte Mrs. Thomas, mit einer Stimme, die halb gedämpft
und halb schrill klang.
»Sie ist früh
ausgegangen, nicht wahr?« sagte ich. In Anbetracht des Mangels an
familiären Gefühlen, den beide Schwägerinnen mir gegenüber
hatten durchblicken lassen, interessierte es mich, was sie im Haus getan
hatte.
»Ich muß Johns
Interessen wahren«, sagte Mrs. Thomas. Aber sie war ebenfalls überrascht,
mich zu sehen. »Was tun Sie hier?« fragte sie, ohne lange um
den heißen Brei herumzureden.
Mir war nicht danach zumute,
ihr zu erzählen, daß ich gekommen war, um die Schecks und die
Rechnungen ihres Bruders durchzusehen. »Ich bin mit meiner Arbeit für
Sie fertig, das weiß ich«, sagte ich. »Gestern habe ich
die Rechnung abgeschickt.«
»Die besser nicht zu
hoch sein sollte«, sagte sie. »Sie haben nicht viel getan.«
»Ich habe für Sie
eine Besuchserlaubnis bei Ihrem Bruder erwirkt, was genau das ist, was Sie
wollten. Bis Sie zu dem Entschluß kamen, daß Sie doch nicht so
besorgt sind, wie Sie dachten.«
»Es ging mir nur ums
Prinzip«, sagte sie.
Wir standen auf der Veranda
und warteten jeder darauf, daß der andere ging. Schließlich
sagte sie: »Sie können klingeln, soviel Sie wollen. Mich geht
das nichts an.«
Ich sah ihr nach, wie sie ums
Haus ging. Erst als sie um die Ecke bog, blickte sie noch einmal zurück.
Im Haus selbst war alles
sauber und ordentlich. Viel sauberer und ordentlicher als bei meinem
letzten Besuch. Ich hatte eigentlich Unordnung erwartet. Vorurteile bezüglich
verstörter Menschen legen die Erwartung eines unnormalen Chaos’
nahe. Wenn hier irgend etwas unnormal war, dann war es die Ordnung.
Dann fiel mir Mrs. Thomas
wieder ein. Die gewohnt war, für ihren Bruder das Haus zu führen.
Vielleicht waren ihre alten Gepflogenheiten mit ihr durchgegangen.
Ich fand die gesuchten
Unterlagen von John Pighee ohne Schwierigkeiten, nachdem mir erst einmal
klargeworden war, daß er ein eigenes Schlafzimmer hatte. Hier wurden
längst keine Luftschlösser mehr gebaut.
Ich ging seine Bankunterlagen
durch, entdeckte jedoch in der Unmenge von Zahlen Jahr für Jahr
nichts Erhellendes. Dann sah ich mir die Papiere noch einmal etwas genauer
an und machte eine Liste der jährlichen Einlagen auf seinem Giro- und
seinem Sparkonto. Er hatte einen Taschenrechner, den ich benutzte, um die
Zahlen an Ort und Stelle zusammenzurechnen. In dem Wissen, daß mir
ohne dieses Gerät die Finger ausgegangen wären.
Aber abgesehen davon, daß
er seine Karriere bei Sir Jeff mit etwa siebentausendfünfhundert
Dollar im Jahr begonnen und diese Summe im Laufe ihrer fünf Jahre währenden
Verbindung auf etwas weniger als zwölftausend Dollar erhöht
hatte, schien es nichts weiter Dramatisches zu geben. Keine plötzlichen
Aufwärtsbewegungen; keine plötzlichen Abwärtsbewegungen.
Oberflächlich betrachtet bestätigten
diese Dinge nur das, was ich ohnehin wußte: Jeder verdiente mehr
Geld als ich.
Ich arbeitete mich von hinten
nach vorn durch die eingelösten Schecks, wurde diese Beschäftigung
aber nach zwei Jahren leid. Es gab nichts Ungewöhnliches, außer
den regelmäßigen Unterhaltszahlungen an Mrs. Thomas. Die ganze
Sache irritierte mich. John Pighees Leben war mir irgendwie zu
durchsichtig. Viele streben nach dieser Art Kontrolle über die
Parameter ihres Lebens, aber nur wenige sind auserwählt. Und wenn er
einer dieser wenigen war, stimmte das nicht mit der Art von Aktivitäten
überein, die ihn schließlich in die Luft fliegen ließen.
Pighee war nicht verschuldet, er zahlte seine Rechnungen pünktlich
und hatte mehr als dreitausend Dollar auf seinem Sparkonto. Eine
unantastbare eiserne Reserve, die er tatsächlich niemals angetastet
hatte.
Ich wandte mich von Pighees
Papieren ab und kämmte Zimmer für Zimmer das Haus durch.
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