Der stumme Handlungsreisende
Oben
gab es neben den beiden großen Schlafzimmern ein spärlich möbliertes
Gästezimmer und ein Zimmer mit Etagenbetten. Keiner dieser Räume
wies irgendwelche verdächtigen Anzeichen dafür auf, daß er
benutzt wurde. Aber es war deutlich zu sehen, welches Linn Pighees
Hauptaufenthaltsorte waren, denn nur dort fanden sich die kleinen Spuren,
die regelmäßige menschliche Benutzung hinterließ. Sie
benutzte die Veranda, wo sie mich ausgefragt hatte, sie benutzte die Küche,
und sie benutzte ihr Schlafzimmer. Alles andere sah unbewohnt aus. Alles
andere sah aus, als hätte niemals jemand dort gewohnt. Selbst John
Pighees Schlafzimmer. Wenn er ein ehrgeiziger Mann war - und darin
stimmten alle überein dann umgab er sich jedenfalls nicht mit den
traditionellen Egoverstärkern, die die meisten Männer benutzen,
um jeden weiteren Schritt auf der Leiter zu feiern. Es gab keine
phantastischen Stereoanlagen, keine teuren Hobbygeräte und keine
kostspieligen Renovierungen.
Ich ging hinaus zu der
Doppelgarage und fand nur einen Wagen vor. Einen kleinen 74er Ford; nichts
Besonderes. Wahrscheinlich Linns Wagen. Die Scharniere an der Tür auf
der leeren Seite der Garage schienen intakt zu sein. Aber ich war nicht in
der Lage, durch bloßen Augenschein festzustellen, ob etwas, das
sieben Monate lang unbenutzt war, sich davor irgendwann regelmäßigerer
Benutzung erfreut hatte.
Ich stieg in den Wagen, der
dort stand, und versuchte den Autoschlüssel an Linns Schlüsselring.
Der Wagen sprang sofort an. Der Tank war halbvoll, und der Meilenzähler
stand beinahe auf elftausend Meilen. Im Handschuhfach fand ich einige
Serviceunterlagen sowie Versicherungspapiere. Alles auf dem neuesten
Stand. Ich legte die Sachen zurück und ging wieder ins Haus. Statt
sofort in John Pighees Zimmer zu gehen, ging ich in Linns Schlafzimmer, an
den Schreibtisch, den sie dort hatte. Dann sammelte ich ihr Scheckbuch und
einige Umschläge ein, die Rezepte und Kontoauszüge zu enthalten
schienen, und nahm sie in das nächste Zimmer mit.
An der Schwelle von John
Pighees Schlafzimmer hielt ich inne, denn plötzlich überfiel
mich das machtvolle Gefühl einer unguten Vertrautheit mit der
Situation. Es traf mich völlig unvorbereitet, traf mich wie ein
Blitz. Die Sache erinnerte mich an zwei verschiedene Fälle, an denen ich früher mal gearbeitet
hatte. Bei einem Fall hatte ich elende, langweilige Stunden damit
zugebracht, Fotos von den finanziellen und sonstigen Unterlagen eines
Mannes durchzugehen, der eine Art Doppelleben geführt hatte. Eines
Mannes, der jetzt im Gefängnis saß. Bei dem anderen Fall hatte
ich ein Haus durchgekämmt auf der Suche nach einem Kasten mit
Karteikarten. Ich war müde geworden und hatte ein paar Stunden
geschlafen. Das Haus - das Bett, auf dem ich
geschlafen hatte - gehörten einem Toten, einem Ermordeten, einem
Mann, der zu Lebzeiten Privatdetektiv gewesen war.
Keine der beiden Erinnerungen
war besonders erfreulich.
Aber ich trat trotzdem in das
Zimmer und setzte mich an Pighees Schreibtisch. Eine Weile kritzelte ich
unentschlossen vor mich hin. Dann ging ich seine Schubladen durch, eine
nach der anderen. Ich machte einen Stapel mit allem, was seine Finanzen
betraf, was so gut wie alles war. Außerdem fand ich auch eine
Pistole. Das führte mich Jahre zurück, in eine Zeit, in der ich
einen Mann erschossen hatte, weil er etwas zu stehlen versuchte, das ich
bewachen sollte. Noch eine Narbe. Ich packte alles zusammen und verließ
das Haus. Und ließ die Waffe, wo ich sie gefunden hatte.
17
»Wir dachten schon, du
hättest uns sitzenlassen«, sagte Sam fröhlich, als ich im
Wohnzimmer zu ihnen stieß.
»Soviel Glück habt
ihr nicht.« Ich wandte mich an Linn. »Wie geht’s unserer
Patientin?«
»Besser«, sagte
sie, ohne besonders überzeugend zu wirken.
»Ich wollte gerade
Weggehen«, sagte Sam. »Ich bin allerdings froh, daß du
wieder da bist. Kriegst du die Sonntagszeitung gebracht, oder holst du dir
eine?«
»Du wirst keine Zeit
haben, irgendeine Sonntagszeitung zu lesen«, sagte ich.
»Ach, wirklich?«
»Du hast einen Fall.«
»Ich weiß, aber…«
»Also mußt du
arbeiten. Komm mit.«
Ich nahm sie mit ins Büro
und gab ihr die Anweisung, aus dem Stapel von Papieren, die ich aus
Pighees Flaus mitgebracht hatte, eine detaillierte Statistik zu erstellen.
»Oh, Daddy!«
»Mach
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