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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewin
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Oben
     gab es neben den beiden großen Schlafzimmern ein spärlich möbliertes
     Gästezimmer und ein Zimmer mit Etagenbetten. Keiner dieser Räume
     wies irgendwelche verdächtigen Anzeichen dafür auf, daß er
     benutzt wurde. Aber es war deutlich zu sehen, welches Linn Pighees
     Hauptaufenthaltsorte waren, denn nur dort fanden sich die kleinen Spuren,
     die regelmäßige menschliche Benutzung hinterließ. Sie
     benutzte die Veranda, wo sie mich ausgefragt hatte, sie benutzte die Küche,
     und sie benutzte ihr Schlafzimmer. Alles andere sah unbewohnt aus. Alles
     andere sah aus, als hätte niemals jemand dort gewohnt. Selbst John
     Pighees Schlafzimmer. Wenn er ein ehrgeiziger Mann war - und darin
     stimmten alle überein dann umgab er sich jedenfalls nicht mit den
     traditionellen Egoverstärkern, die die meisten Männer benutzen,
     um jeden weiteren Schritt auf der Leiter zu feiern. Es gab keine
     phantastischen Stereoanlagen, keine teuren Hobbygeräte und keine
     kostspieligen Renovierungen.
    Ich ging hinaus zu der
     Doppelgarage und fand nur einen Wagen vor. Einen kleinen 74er Ford; nichts
     Besonderes. Wahrscheinlich Linns Wagen. Die Scharniere an der Tür auf
     der leeren Seite der Garage schienen intakt zu sein. Aber ich war nicht in
     der Lage, durch bloßen Augenschein festzustellen, ob etwas, das
     sieben Monate lang unbenutzt war, sich davor irgendwann regelmäßigerer
     Benutzung erfreut hatte.
    Ich stieg in den Wagen, der
     dort stand, und versuchte den Autoschlüssel an Linns Schlüsselring.
     Der Wagen sprang sofort an. Der Tank war halbvoll, und der Meilenzähler
     stand beinahe auf elftausend Meilen. Im Handschuhfach fand ich einige
     Serviceunterlagen sowie Versicherungspapiere. Alles auf dem neuesten
     Stand. Ich legte die Sachen zurück und ging wieder ins Haus. Statt
     sofort in John Pighees Zimmer zu gehen, ging ich in Linns Schlafzimmer, an
     den Schreibtisch, den sie dort hatte. Dann sammelte ich ihr Scheckbuch und
     einige Umschläge ein, die Rezepte und Kontoauszüge zu enthalten
     schienen, und nahm sie in das nächste Zimmer mit.
    An der Schwelle von John
     Pighees Schlafzimmer hielt ich inne, denn plötzlich überfiel
     mich das machtvolle Gefühl einer unguten Vertrautheit mit der
     Situation. Es traf mich völlig unvorbereitet, traf mich wie ein
     Blitz. Die Sache erinnerte mich an zwei verschiedene Fälle, an denen ich früher mal gearbeitet
     hatte. Bei einem Fall hatte ich elende, langweilige Stunden damit
     zugebracht, Fotos von den finanziellen und sonstigen Unterlagen eines
     Mannes durchzugehen, der eine Art Doppelleben geführt hatte. Eines
     Mannes, der jetzt im Gefängnis saß. Bei dem anderen Fall hatte
     ich ein Haus durchgekämmt auf der Suche nach einem Kasten mit
     Karteikarten. Ich war müde geworden und hatte ein paar Stunden
     geschlafen. Das Haus - das Bett, auf dem ich
     geschlafen hatte - gehörten einem Toten, einem Ermordeten, einem
     Mann, der zu Lebzeiten Privatdetektiv gewesen war.
    Keine der beiden Erinnerungen
     war besonders erfreulich.
    Aber ich trat trotzdem in das
     Zimmer und setzte mich an Pighees Schreibtisch. Eine Weile kritzelte ich
     unentschlossen vor mich hin. Dann ging ich seine Schubladen durch, eine
     nach der anderen. Ich machte einen Stapel mit allem, was seine Finanzen
     betraf, was so gut wie alles war. Außerdem fand ich auch eine
     Pistole. Das führte mich Jahre zurück, in eine Zeit, in der ich
     einen Mann erschossen hatte, weil er etwas zu stehlen versuchte, das ich
     bewachen sollte. Noch eine Narbe. Ich packte alles zusammen und verließ
     das Haus. Und ließ die Waffe, wo ich sie gefunden hatte.

 
    17
    »Wir dachten schon, du
     hättest uns sitzenlassen«, sagte Sam fröhlich, als ich im
     Wohnzimmer zu ihnen stieß.
    »Soviel Glück habt
     ihr nicht.« Ich wandte mich an Linn. »Wie geht’s unserer
     Patientin?«
    »Besser«, sagte
     sie, ohne besonders überzeugend zu wirken.
    »Ich wollte gerade
     Weggehen«, sagte Sam. »Ich bin allerdings froh, daß du
     wieder da bist. Kriegst du die Sonntagszeitung gebracht, oder holst du dir
     eine?«
    »Du wirst keine Zeit
     haben, irgendeine Sonntagszeitung zu lesen«, sagte ich.
    »Ach, wirklich?«
    »Du hast einen Fall.«
    »Ich weiß, aber…«
    »Also mußt du
     arbeiten. Komm mit.«
    Ich nahm sie mit ins Büro
     und gab ihr die Anweisung, aus dem Stapel von Papieren, die ich aus
     Pighees Flaus mitgebracht hatte, eine detaillierte Statistik zu erstellen.
    »Oh, Daddy!«
    »Mach

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