Der Tag der Traeume
sie. »Ich bin ganz wild darauf, diese Zottelfrisur … la Meg Ryan an jemandem auszuprobieren, aber keine meiner Kundinnen hat den Mut dazu.«
Kendall betrachtete ihr schulterlanges Haar im Spiegel. »Ich soll also das Versuchskaninchen spielen?«
Pam grinste. »Wenn Sie’s tun, bin ich Ihre allerbeste Freundin«, erwiderte sie mit Singsangstimme.
Kendall musste an das Kinderlied denken, das ihre Schulkameradinnen oft gesungen hatten, doch nie war sie damit gemeint gewesen. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle, und sie empfand plötzlich eine undefinierbare Sehnsucht nach etwas, was sie nie besessen hatte. Sie holte tief Atem. »Schön, warum nicht? Ich wollte schon immer mal wie Meg aussehen.« Sie lachte, um den bedrückenden Gedanken abzuschütteln, dass sie als Kind nie eine beste Freundin gehabt hatte.
Pam quiekte vor Freude laut auf. »Sie haben gerade eine Freundin fürs Leben gewonnen!«
Die nächste Viertelstunde machte sie sich eifrig an Kendalls Haar zu schaffen, dabei stand ihr Mundwerk keinen Moment still. Als sie fertig war, hatte Kendall eine klebrige Paste auf dem Kopf und eine neue Freundin in der Stadt. Doch außer Pam wechselte niemand im Salon ein Wort mit ihr oder nickte ihr auch nur freundlich zu. Kendall redete sich ein, ihr würde überhaupt nichts daran liegen, wusste aber, dass sie sich selbst etwas vormachte.
In den vier Tagen, die sie nun schon in Yorkshire Falls war, war sie mit vielem konfrontiert worden, was sie in ihrem Leben nie gekannt hatte – einer intakten Familie, guten Freunden, einem Gefühl der Zusammengehörigkeit. Und zum ersten Mal litt sie unter der Leere in ihrem Leben.
»In zwanzig Minuten spüle ich das Zeug aus.« Pam stellte die Zeituhr ein. »Entspannen Sie sich einfach eine Weile, okay?«
Kendall folgte ihrem Vorschlag, schloss die Augen, blendete das Geschnatter um sie herum aus und dachte darüber nach, wie sie Pam dazu überreden könnte, ihren Schmuck im Salon auszustellen. Bald drangen alle Geräusche nur noch wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, und sie döste ein.
»Hi, Honey.«
Ohne Vorwarnung wurde sie von einer vertrauten Männerstimme aufgeschreckt. Rasierwasserduft stieg ihr in die Nase. Sie schlug die Augen auf und sah Rick vor sich stehen. Er stützte die Hände auf die Lehnen ihres Stuhls und beugte sich über sie.
»Die Frisur gefällt mir.« Sein spöttisches Grinsen war nicht zu übersehen.
Kendall war sicher, dass ihr gleich das Blut ins Gesicht steigen würde, doch sie zuckte nur gleichmütig die Achseln. »Wer schön sein will, muss leiden.«
»Du siehst sogar mit dieser Matsche auf dem Kopf noch hinreißend aus. Das können nicht viele Frauen von sich behaupten.«
»Ich bitte dich!«, wehrte sie seine schamlose Übertreibung ab. »Wenn mich die Leute von den Modeagenturen so gesehen hätten, hätte ich Tante Crystals Pflegeheimrechnungen nie und nimmer bezahlen können.«
»Manche Frauen neigen tatsächlich zur Selbstunterschätzung«, sagte er lächelnd.
Er blickte sie so eindringlich an, als wolle er sie zwingen, seinen Worten Glauben zu schenken. Bei dem Kompliment war ihr warm ums Herz geworden, obwohl in ihrem Kopf sämtliche Alarmglocken losgingen. »Süßholz raspeln kannst du wirklich gut, das muss man dir lassen«, sagte sie in dem Versuch, sich von ihren widersprüchlichen, immer stärker werdenden Gefühlen für Rick Chandler zu distanzieren.
»Ich bin gut. Punkt.« Er grinste, um ihr zu beweisen, dass er nur Spaß machte. »Wovon sprichst du eigentlich?«
Sie verdrehte die Augen. »Von deinem Talent, Frauen zu bezirzen, Officer Chandler.«
»Du scheinst ein ziemlich schlechtes Kurzzeitgedächtnis zu haben. Seit ein paar Tagen gibt es nämlich keine anderen Frauen mehr für mich.« Seine haselnussbraunen Augen glitzerten. Er versprühte einen Charme, dem sich noch nicht einmal eine überzeugte Männerfeindin hätte entziehen können.
»Richtig, wie konnte ich das nur vergessen.« Kendall fuhr sich mit der Zunge über ihre trockenen Lippen. »Gehört es neuerdings zu deinen Gewohnheiten, einen kleinen Zwischenstopp im Friseursalon einzulegen?«
»Nur wenn ein ganz bestimmtes rotes Auto davor parkt.«
»Du bist meinetwegen gekommen?«
Er blinzelte ihr zu, dann hauchte er ihr einen Kuss auf die Lippen. »Weswegen sonst? Du sitzt sozusagen mitten in der Klatschzentrale. Der Geburtsstätte aller Gerüchte. Etwas Besseres könnte uns gar nicht passieren.«
Seltsamerweise empfand sie einen Anflug von Enttäuschung.
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