Der Tag mit Tiger - Roman
Kater mitleidig. »Du siehst auch schon etwas magerer aus. Soll ich darauf achten, dass mein Mensch dir zukünftig noch einen Zusatzhappen herausstellt?«
»Um Himmels willen. Dein Mensch macht doch sowiesonur Dosen auf. Sie ist eine von diesen zickigen, berufstätigen Weibern, die nicht einmal mehr kochen können. Wenigstens das hat Emil drauf. Aber er selbst isst auch immer weniger«, schloss der alte Kater verdrossen.
»Wie geht’s denn sonst so zu Hause?«
»Ach, es könnte besser sein. Tim und Tammy schauten letztens vorbei, um Stunk zu machen. Die haben sich auch noch nicht die Krallen abgestoßen. Sie wollten Emil in die Polster der Gartenmöbel machen.«
»Hast du irgendwas dagegen unternommen?«
»Wenig. Soll der Alte sich doch selber kümmern. Bin ich meines Menschen Hüter?«
»Wer von uns ist das schon?«, philosophierte Tiger nachdenklich, konnte das Thema aber nicht vertiefen, weil Jakob seine Aufmerksamkeit auf Anne richtete.
»Wer ist die da eigentlich?«, zischte Jakob, plötzlich wieder herrisch geworden. »Nicht nur, dass du zur Unzeit im Revier bist – du schleppst auch noch Fremde mit an. Hat die eine Erlaubnis?«
»Sie ist mein Gast«, erwiderte Tiger einsilbig.
»Ich kann das nicht haben, fremde Katzen! Da gibt es nur Unruhe. Aber wer hört schon auf mich? Na egal, ich muss weiter. Mit euch habe ich jetzt schon genug Zeit vertrödelt.«
»Ja, wir wollen auch weiter, sonst wird es zu spät, aber wir müssen uns im Laufe des Tages noch mal sprechen. Es gibt da ein Problem.«
»Später.«
»Mach’s gut, Jakob.«
Jakob verschwand ohne Gruß im Gebüsch.
Anne blickte ihm nach. »Wenn ich nicht wüsste, dass deralte Herr Jakob seinen letzten Wurstzipfel abgeben würde, könnte man ihn fast bemitleiden.«
»Und wenn du Tim und Tammy letzte Woche gesehen hättest, dann wüsstest du, was ›wenig‹ bei Jakob bedeutet. Er hat für sein Alter noch eine ganz kräftige Pfotenschrift.«
»Die beiden sind schon lange zusammen, nicht wahr?«
»In einer seltenen Plauderstunde hat Jakob von siebzehn Jahren gesprochen. Er ist schon ein Original. Aber jetzt weiter! Ich habe noch eine Verabredung.«
Nina
Während sie weiterzogen, hing Anne ihren Gedanken nach. Sie fand die beiden Begegnungen mit den Katzen sehr aufschlussreich. Es gab eine etablierte Gemeinschaft unter ihnen, aber obwohl sie sich gegenüber einer Neuen wie ihr zurückhaltend verhielten, waren sie doch nicht feindselig. Nachdenklich zog Anne eine Parallele zu dem Verhalten der menschlichen Dorfbewohner. Auch sie bildeten eine lose Gemeinschaft. Die Neuzugezogenen – auch die Ausländer – wurden einigermaßen freundlich aufgenommen oder zumindest in Ruhe gelassen. Bis sich jedoch Freundschaften gebildet hatten, dauerte es eine Weile.
Das Gelände ging jetzt wieder ein wenig aufwärts, das Gras wurde lichter. Das erlaubte ihr einen Blick über das Örtchen. Anne blieb einen Moment stehen, um ihre Augen darüber schweifen zu lassen. Als Mensch war sie froh über den ländlichen Charakter der kleinen Ansiedlung, für eine Katze war ihr die Umgebung schon immer ideal vorgekommen, und jetztfühlte sie sich vollständig bestätigt. Es war ein wundervolles Revier. Dann aber musste sie sich sputen, um wieder an die Seite ihres Begleiters zu gelangen, der zügig voranlief.
Erst in der Nähe der Straße verhielt Tiger seine Schritte.
»Nina ist nicht die Pünktlichste. Warten wir ein Weilchen.«
Er faltete die Pfoten säuberlich unter dem Bauch und legte sich darauf, den Schwanz elegant in einer Linksdrehung um den Körper geschmiegt. Anne machte es ihm nach, aber ihr Schwanz legte sich in einer Rechtsbiegung zurecht. Obwohl sich der Boden noch kühl anfühlte, war es angenehm hier. Die frühen Sonnenstrahlen trafen schon wärmend auf das Fell, und Anne versuchte ein Gespräch zu beginnen.
»Nina ist eine Rassekatze, nicht?«
»Wir sind alle Rassekatzen«, lautete die knappe Antwort.
Anne ließ sich von dieser Abfuhr nicht weiter beeindrucken und bohrte weiter nach.
»Ja, aber durch ihre Schlappohren ist sie doch etwas Besonderes, oder?«
Nina war Christians Scottish Fold mit cremefarbenem Fell und elegant abgeknickten Ohren.
»Das lass sie nur nicht hören. Die Ohren sind ihr wunder Punkt. Ein echter Erbfehler.«
Danach hüllte Tiger sich wieder in Schweigen, und nach geraumer Zeit war das Pfotentappen einer sich nähernden Katze zu hören. Tiger stand auf und blickte dem schönen und anmutigen Tier entgegen.
»Hallo,
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