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Der Tod des Bunny Munro

Der Tod des Bunny Munro

Titel: Der Tod des Bunny Munro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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ihrer Freundin sagen: »Guck mal Kelly, schon gesehen?«
    Sie zeigt auf ein Boulevardblatt, das auf dem Tresen liegt.
    Kelly hat blaues Haar und trägt ein weites Kleid aus grob gewebtem Baumwollstoff und eine tibetische Perlenkette. Sie schaut auf die Zeitung, deren Aufmacher ein Foto des Teufelskillers ist, der von zwei dicken Polizisten flankiert wird. Der Killer, oben ohne und mit Waschbrettbauch, ist mit roter Farbe beschmiert und trägt Handschellen, und auf seinem Kopf sitzen immer noch die Hörner aus dem Scherzartikel-Laden. ›GEFASST!‹, lautet die Schlagzeile.
    »Ein Glück, Zandra, sie haben den Kerl«, sagt sie.
    Zandra fährt mit einem pflaumenfarbenen Fingernagel die Umrisse seines Körpers entlang und sagt mit einem Leuchten in den Augen: »Sieht aber schon irgendwie süß aus.«
    Kelly schaut über die Schulter zu Bunny, der jetzt dicht hinter den beiden steht und den Hals nach dem Titelblatt der Zeitung reckt.
    »Wer?«, fragt sie zerstreut.
    »Na, dieser Fake-Teufel da«, antwortet Zandra.
    Kelly stößt Zandra mit dem Ellbogen an und flüstert, »Mein Gott, du bist aber auch unverbesserlich!«, und dann sieht sie noch einmal über die Schulter zu Bunny.
    »Wasch die Farbe ab. Denk dir die Plastikhörner weg …«, sagt Zandra.
    »Du kennst einfach keine Grenzen!«, zischt Kelly aus dem Mundwinkel.
    »Ja, ich weiß«, erwidert Zandra, rückt leise ächzend ihren Rucksack zurecht und fügt hinzu: »Also, ich würde ihn nicht von der Bettkante schubsen!«
    »Pscht«, macht Kelly leise.
    »Pardon, ich meinte natürlich, ohne die Handschellen!«, sagt Zandra.
    Kelly dreht sich um und sieht Bunny an.
    »Würden Sie bitte ein bisschen Abstand halten?«
    Bunny hebt die Hände und tritt einen Schritt zurück.
    »Tut mir leid, Kelly«, sagt Bunny. »Ich glaube nur, wir werden unserer Kindheit beraubt.«
    Bunny geht hinüber zu dem Rezeptionisten mit den weißen Haarbüscheln und der katastrophalen Nase und zahlt seine Rechnung, und als er sich umdrehen will, schnappt ihn der Mann blitzschnell beim Handgelenk. Er sieht ihn durch sein »Mystic Eye« an und tippt auf die Zeitung.
    »Haben Sie das gesehen? Die schreiben hier, die Hörner von dem Kerl sind gar nicht aus Plastik. Die sind echt.«
     
    Die automatische Tür öffnet sich zischend, und Bunny Junior, der erleichtert ist, das Empress Hotel zu verlassen, sagt zu seinem Vater: »Bei einer Nahtoderfahrung haben die Leute meist ein außerkörperliches Erlebnis und bewegen sich durch einen dunklen Raum oder einen Tunnel auf das Licht zu.«
    Die Sonne brennt, und von den nassen, glänzenden Straßen steigt Dampf auf. Der grelle Glanz blendet den Jungen, er setzt seine Sonnenbrille auf und fragt sich, ob er nicht vielleicht schon tot ist. Sieht er deshalb ständig seine Mutter? Er kneift sich in den Oberschenkel, bis ihm die Tränen in die Augen schießen, und eine dichte Nebelbank draußen auf dem Meer bewegt sich über das Wasser auf ihn und seinen Vater zu, wie eine unerwünschte Erinnerung.
    »Leute mit einer Nahtoderfahrung haben berichtet, sie wären Heiligen begegnet!«, ruft Bunny Junior, springt auf der Stelle, reibt sich den Bluterguss an seinem Oberschenkel und denkt ›aua, aua, aua!‹. »Man kann sogar verstorbene Freunde oder Verwandte treffen!«
    Sein Vater stakst eigenartig weiter, klopft seinen Anzug ab und dreht sich andauernd um, und der Seenebel rollt unaufhaltsam auf sie zu wie eine große, weiße Wand und verwischt die Grenze zwischen der Wirklichkeit und seinem dunstumhüllten Traum oder so was.
    »Na prima«, sagt Bunny Junior und hilft seinem Vater, der auf den Gehweg gestürzt ist, wieder auf die Beine. »Guck dir an, was du gemacht hast.« Er zeigt auf einen kleinen, dreieckigen Riss am Knie seiner Hose.
    »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde«, sagt sein Vater, nimmt einen tiefen Schluck aus irgendeiner Flasche, öffnet die Autotür und fällt mit dem Gesicht voran in den Punto.
    Als der nicht anspringt, hämmert Bunny auf das Lenkrad, und dann faltet er allen Ernstes die Hände und bittet Gott und alle Heiligen demütig um Hilfe. Als hätte der aufsässige Punto plötzlich Mitleid mit ihm, springt er stotternd und hustend an, mit dem Versprechen, Bunny dorthin zu bringen, wo er hin will.
    »Eine Nahtoderfahrung geht oft mit einem starken Gefühl des Friedens einher, Dad«, sagt der Junge.
    »Schnapp dir die Kundenliste«, sagt Bunny, legt die Stirn auf das Lenkrad und spielt an dem Riss in seiner Hose herum.
    Der

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