Der Tod hat eine Anhängerkupplung: Ein Campingkrimi (German Edition)
Campingplatz, zumindest nicht, wenn Johnnys Supermarkt schon geöffnet hat und dem geneigten Urlauber frische Kaiserbrötchen, Milchbrötchen, Croissants und Baguettes feilbietet.
Man hörte das Ratschen von Reißverschlüssen. Aus mehreren Vorzelten traten Menschen, manche im Pyjama, manche im Jogginganzug. Norbert stellte sein Fahrrad, mit dem er gerade zum Brötchenholen aufbrechen wollte, wieder auf den Ständer.
Es war nicht auszumachen, von wem der Schrei kam. Man konnte nur die Richtung erahnen.
Alle Köpfe wandten sich zu der dichten Hecke, die den Platz von der Gracht abtrennt, die hinter dem Feld träge vor sich hindümpelt. Gerd kam durch den kleinen Durchgang in der Hecke zwischen dem Platz und der Gracht. Diesen Trampelpfad hatten Hunderte von Campern in den letzten Jahren getrampelt. Er wirkte merkwürdig gefasst. Es musste also Gerds Frau Uschi gewesen sein, die den Schrei ausgestoßen hatte.
Gerd ging zu Anne und sagte leise: »Hast du noch die Visitenkarte von dieser Polizistin? Ruf sie sofort an und sorgt dafür, dass die Kinder nicht an die Gracht gehen.«
Ich fragte ihn: »Was ist denn los, Herrgott noch mal?« Ich hatte keine Lust mehr auf Rätsel am frühen Morgen.
»Ich glaube, wir haben einen zweiten Mordfall«, antwortete Gerd. »Also ruft die Polizei an.« Er wandte sich an Norbert: »Fahr du zur Rezeption und sag Bescheid!«
Das Leben schien für einen Augenblick stehen zu bleiben. In den Gesichtern der Umstehenden konkurrierte ungläubiges Staunen mit jähem Entsetzen. Gerd verschwand wieder hinter der Hecke, Lothar und ich folgten ihm. Auch Norbert hatte wohl beschlossen, dass die Rezeption noch ein paar Minuten warten konnte. Uschi stand noch immer starr vor Schreck, die Hände an beide Wangen gelegt, am Ufer des kleinen Bewässerungskanals.
Es gibt Bilder, die will man nicht gesehen haben. Ein fast nackter Frauenkörper, nur bekleidet mit einem kleinen Slip, hing an der großen Weide, an dem ausladenden starken Ast, der weit über die Gracht ragt. Das linke Bein war an den Ast gebunden, das rechte Bein stand grotesk ab. Nur der Kopf war unter Wasser. Ein kleiner Karpfen knabberte verspielt am linken Ohrläppchen.
»Das ist doch nicht wahr!«, entfuhr es Norbert.
Ich war entsetzt über diesen Anblick und konnte mich dennoch nicht abwenden.
»Wer ist das?« Lothar sprach die Frage aus, die wir uns alle stellten.
»Keine Ahnung. Man kann ja ihr Gesicht nicht sehen«, sagte ich. »Sollen wir sie runternehmen?«
»Um Gottes willen!«, bestimmte Gerd. »Wir bleiben hier, bis die Polizei kommt, und wir rühren nichts an! Norbert, du solltest doch zur Rezeption fahren!«
»Ja, mach ich ja auch, ich bin schon unterwegs.« Das sagte er und blieb wie angewurzelt stehen.
»Norbert!«
»Ja doch!« Er trat widerstrebend auf den kleinen Pfad und stieß fast mit Anne zusammen.
»Oh mein Gott!«
Ich ging zu ihr und nahm sie so in den Arm, dass sie die Tote nicht mehr sehen konnte.
»Lass mich los!« Sie ging drei Schritte weiter. »Das kann doch alles nicht sein!«, stöhnte sie dann.
»Pack die Sachen, wir fahren nach Hause.«
»Nein, das können wir nicht«, entgegnete sie. »Die Polizei würde es gar nicht erlauben.«
»Ich kann nach Hause fahren, wann ich will! Unsere Kinder müssen so was nicht sehen.«
»Sie werden es auch nicht sehen. Gaby nimmt sie mit ins Dorf, und da werden sie auch ein paar Stunden bleiben.«
Gerd wandte sich an Anne. »Weißt du, wer das ist?«
»Ja.«
Ich war verblüfft. »Wie, ja ?«
»Das ist Andrea. Ihr Nachname ist Hinrichs oder Heinrichs oder so. Sie war noch Sonntagnachmittag dabei, als wir uns zum Stricken bei Gaby getroffen haben.«
»Woher kanntest du sie denn?«
»Ich habe sie Pfingsten kennengelernt«, erklärte Anne. »Sie stehen auf den Saisonplätzen. Ich glaube, mit ihrem Freund und seiner Tochter.«
27
Das Telefon klingelte um zwanzig nach sieben.
Wenn es für Piet eine falsche Zeit fürs Telefonklingeln gab, dann war es zwanzig nach sieben. Um vier wurde man aus dem Tiefschlaf gerissen. Das machte nichts, da schlief man einfach nur. Nach acht wäre es ihm auch egal gewesen. Da war er schon wach. Vielleicht lag er noch in den Federn, aber er war wach. Aber zwischen sechs Uhr dreißig und acht Uhr, das war die Zeit, in der sich seine Augenlider jeglicher Kontrolle entzogen. Sein Körper führte in dieser Zeitspanne ein Eigenleben. Das Hirn konnte wahrscheinlich nicht einschreiten, weil in seinen
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