Der Tod ist mein Beruf
wieder heraus und legte ihn an das zweite Türband. Auch da ging er leicht hinein. Ich zog ihn rasch heraus, und immer, ohne aufzublicken, ließ ich eine Tür hinuntergleiten und lehnte sie gegen den Pfeiler. Die Hand, in der die Pfeife lag, war noch immer da. Sie zitterte leicht. Dann war plötzlich nichts mehr da, und ich hörte Schritte, die sich entfernten. Die Maschinen ließen die weite Halle vibrieren, ich arbeitete unablässig, ich war tätig und innerlich unbeteiligt, ich hatte kaum das Empfinden, dazusein. Der Karren der Malerwerkstatt kam knarrend an, die Räder kreischten auf dem Zement, und ich hörte den Fahrer wütend zu Karl sagen: "Was fällt dir denn ein? Hat dich Säcke am Reingewinn beteiligt?"
Stille trat ein, ich hielt die Augen gesenkt und sah nur, wie Karls Pfeife sich hob und auf mich zeigte. Nach einer Weile knarrte der Karren von neuern, ein Schatten glitt an meiner Werkbank vorbei, und die Stimme des Meisters klang deutlich und barsch durch das Zittern der Maschinen: "Ich verstehe das nicht! Was haben Sie denn? Schlafen Sie?"
-"Bleiben Sie bloß zehn Minuten bei mir", sagte die Stimme Karls, "und Sie werden sehen, ob ich schlafe."
Wieder trat Stille ein, der Schatten kam wieder an meiner Werkbank vorbei, und ich hörte den alten Karl leise fluchen. Der Meister kam eine halbe Stunde später noch einmal, aber diesmal konnte ich nicht verstehen, was er sagte.
Nachher hatte ich eine ganze Weile den Eindruck, daß die Augen des alten Karl mich nicht losließen. Ich warf ihm einen raschen Blick zu. Es war nicht der Fall. Er drehte mir den Rücken zu, sein Nacken war gerötet, sein Haar schweißverklebt, und er arbeitete wie ein Verrückter. Es lehnten jetzt so viele Türen an seinem Pfeiler, daß sie ihn in seinen Bewegungen behinderten. Die Sirene kündete die Mittagspause an, die Maschinen blieben stehen, und Stimmengewirr erfüllte die Halle. Ich ging mir die Hände waschen, wartete auf Schrader und begab mich dann mit ihm zur Kantine. Sein Gesicht war starr, und er sagte, ohne mich anzusehen: "In der Malerwerkstatt sind sie wütend."
Als ich die Tür der Kantine öffnete, hörten die lauten Unterhaltungen sofort auf, und ich fühlte, daß alle Blicke auf mich gerichtet waren. Ich sah niemanden an, ging geradewegs auf einen Tisch zu, Schrader folgte mir, und allmählich fingen die Unterhaltungen wieder an. Die Kantine war ein großer, heller, sauberer Raum mit kleinen rotgestrichenen Tischen und einem Strauß künstlicher Nelken auf jedem Tisch. Schrader setzte sich neben mich, und nach einer Weile stand an einem Nebentisch ein lang aufgeschossener, abgemagerter Arbeiter auf, den ich "Zigarettenpapier"
hatte nennen hören, und setzte sich uns gegenüber. Schrader hob den Kopf und sah ihn scharf an. "Zigarettenpapier"
winkte leicht zum Gruß, und ohne ein Wort zu sagen oder uns anzusehen, fing er an zu essen. Die Kantinenwirtin kam mit Bechern und schenkte Tee ein. Mein Gegenüber drehte den Oberkörper zu ihr um, und ich verstand jetzt, warum man ihn "Zigarettenpapier"
nannte. Er war groß und breit, aber wenn man seinen Körper von der Seite sah, hatte man den Eindruck, daß es ihm an Dicke fehle. Ich aß und blickte über seinen Kopf hinweg geradeaus. Mitten auf der ockerfarbenen Wand mir gegenüber war ein großer rechteckiger Fleck in einem etwas dunkleren Ocker, und auf den Fleck sah ich hin. Von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick zu Schrader . Er aß mit gesenktem Kopf, und die schwarze Linie seiner Augenbrauen verdeckte seine Augen. "Junge", sagte "Zigarettenpapier". Ich sah ihn an. Seine Augen waren farblos. Er lächelte.
"Du arbeitest zum erstenmal in einer Fabrik?"
"Ja."
"Wo warst du denn vorher?"
Aus seinem Ton ging hervor, daß er es schon wußte. "Dragonerunteroffizier."
"Unteroffizier?"
sagte "Zigarettenpapier", und pfiff durch die Zähne. Schrader hob den Kopf und sagte barsch: "Ich auch."
"Zigarettenpapier"
lächelte und umspannte seinen Becher mit beiden
Händen. Ich hob den Kopf und sah auf den großen rechteckigen Fleck an der Wand. Ich hörte Schrader sein Messer zusammenklappen, und an dem Stoß seines Ellenbogens gegen meine Hüfte merkte ich, daß er es in die Tasche steckte. "Junge", sagte "Zigarettenpapier", "der alte Karl ist ein guter Kamerad, und wir hätten es nicht gern, wenn er rausgeschmissen würde."
Ich blickte ihn an. Sein aufreizendes Lächeln erschien wieder, und plötzlich kam mich die Lust an, ihm meinen Becher Tee ins Gesicht zu
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