Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
zurückkäme. Er wäre ja nicht das Kindermädchen. Auf ihrem Handy sollte er es doch versuchen.
Der Hartinger hat den Polizeiausweis in der Tasche gelassen. Aber seiner Miene war zu entnehmen, dass er nicht zum Kaffeetrinken gekommen war. Einen Moment mustern sie sich schweigend. Sie schätzen sich ab.
Der Hartinger versucht, an der Haltung des Gegenübers abzulesen, ob der ihm die Wahrheit sagt oder ihn nur abwimmeln will. Arglos kommt der Bärtige daher. Keiner, der eingeweiht ist in Isabellas Treiben als Verbrecherin. Was er in seinem Gegenüber sieht, will der Polizist nicht wissen. Vielleicht einen abgelegten Liebhaber. Den dummen Tanzbären, den sie am Nasenring spazieren geführt hatte. Froh wird der Typ gewesen sein, die Tür wieder schließen zu können. Ein bedauerndes Schulterzucken bekommt der Kommissar mit auf den Weg. Ja, Bedauern. Wie es der Hartinger bedauert, dass er die Isabella überhaupt kennengelernt hatte. Wie er es bedauert, was für ein ausgemachter Volldepp er gewesen ist. Wie er es bedauert, Polizist zu sein. Und wie er das Bedauern bedauert, das sich in ihm immer mehr aufpumpt. Falls es platzte, gäbe es Schutt und Asche.
Mit hängenden Schultern schlappt er zurück zu seinem Wagen. Kaum dass er die Füße hebt. In Sichtweite des Eingangs hatte er einen Parkplatz ergattern können. Er wirft sich auf den Fahrersitz und starrt aus dem Seitenfenster in den Regen. Vereinzelte Fußgänger hasten vorüber. Kaum auszumachen unter den Schirmen und Regenjacken. Niemand schenkt ihm seine Aufmerksamkeit.
Er wird auf die Isabella warten. Und wenn es Tage dauerte, er wird sich nicht von der Stelle rühren, bis er sie ... Ja, was? Wollte er sie verhaften? Wollte er von ihr hören, dass sie mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte? Wollte er alles wieder gutmachen? Dafür ist es zu spät. Für sie beide. Er hätte die Kollegen informieren müssen. Stattdessen sitzt er in seinem Auto und wartet. Er kann nicht anders. Wie gelähmt fühlt er sich. Er kann jetzt mit niemandem sprechen. Er hat seine Entscheidung getroffen. Vor einer halben Stunde war er drauf und dran, alles der Wiesner oder dem Sandner zu beichten. Was würden die jetzt sagen?
Der Hartinger weiß, wer für die Entführung der Brauner verantwortlich ist, und schweigt. Nein, nur ein kleiner Aufschub. Nur eine Chance will er, es auf seine Art zu regeln. Er ist der Isabella nichts schuldig, nur sich selbst. Die Zeit vergeht viel zu langsam. Er verspricht sich, den Sandner und die Wiesner zu verständigen, sollte sie in einer Stunde nicht aufgetaucht sein. Oder eineinhalb. Ein Teil von ihm hofft, die Isabella bliebe verschwunden – für immer.
D er Sandner flucht. Der Hartinger bleibt verschwunden. Seine Kollegin wird sich vom Tatort nicht so einfach davonmachen können. Immerhin trägt sie noch die Krone. Leitende Ermittelnde. Morgen früh wird sie vom Thron gestoßen werden. Jedem ist klar gewesen, dass die beiden Morde zusammenhängen. Dass das Madl mit ihm Kontakt aufgenommen hatte, ist ein Segen. Er nimmt die U-Bahn nach Untergiesing. Eine Idee muss her. Die junge Frau, die ihm gegenübersitzt, starrt demonstrativ aus dem Fenster. Auch wenn es zwischen den U-Bahnhöfen nur die Schwärze zu betrachten gibt. Besser als diesen Mann mit dem grimmigen, starren Blick. Sie wird sich unwohl fühlen. Seine Augen ruhen unverwandt auf ihr. Braunhaarig ist sie, etwas füllig, Kurzhaarschnitt. Fast wie das vermisste Madl. Piercing über der Oberlippe. Er sieht sie nicht wirklich. Er schaut durch sie hindurch. Langsam setzt sich in seinem Hirn etwas zusammen. Kleine Bruchstücke werden zu größeren Teilen. Selbst wenn die Zeugin eine Aussage machte, wäre deren Substanz zweifelhaft. Angenommen, sie hätte den Sheriff beobachtet. Wie glaubwürdig wäre das nach den Ereignissen um die Verhaftung ihres Vaters. Vielleicht wollte sie ihm nur eins auswischen? Es gäbe keine Beweise, die auf ein Motiv hinweisen. Nichts. Er muss ihn festnageln. Ein Beweisstück muss her. Er wechselt die SIM-Karten. Hartingers Nummer erscheint. Auf der Mailbox ist kein Text. Er hört ihn nur schnaufen, zehn Sekunden lang. Wie ein Stalker. Der Rückruf führt zu dessen Mailbox. Herrschaftszeiten! Was treibt der Rotschopf? Er ist seine Hoffnung, eine Spur zu Braunes Mutter aufzutun.
»Meld dich gefälligst«, knurrt der Sandner, bevor er das einseitige Gespräch beendet.
Bei der Wiesner hat er mehr Glück. Zumindest ist sie erreichbar. Von seinem Geistesblitz ist sie
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