Der Todschlaeger
Garküchen
waren geschlossen, das Gaslicht wurde rötlich
in den Weinschenken, aus denen vor
Trunkenheit schleimige Stimmen drangen. Der
Jux schlug um in Streitigkeiten und
Prügeleien. Ein verteufelt langer, zerlumpter
Kerl brüllte: »Ich hau dich gleich zusammen,
numeriere deine Knochen!« Eine Dirne war an
der Tür einer Tanzkneipe mit ihrem Liebhaber
aneinander geraten und nannte ihn einen
dreckigen Flegel und ein krankes Schwein,
während der Liebhaber immer wieder sagte:
»Sonst noch was?«, ohne daß ihm etwas
anderes einfiel. Die Sauferei wehte ein
Verlangen, sich totzuschlagen, heraus, etwas
Wildes, das den spärlich gewordenen
Passanten blasse und zuckende Gesichter
verlieh. Es entstand eine Schlägerei, ein Säufer
fiel auf den Rücken, alle viere von sich
gestreckt, während sein Kumpel, der glaubte,
ihm sein Fett gegeben zu haben, entfloh,
wobei er mit seinen derben Schuhen klapperte.
Scharen grölten schmutzige Lieder,
Augenblicke tiefer Stille traten ein,
durchschnitten vom Schluckauf oder dem
dumpfen Fall von Trunkenbolden. Das
Flottmachen nach dem Vierzehntagelohn
endete immer so, seit sechs Stunden floß der
Wein so heftig, daß er auf den Bürgersteigen
lustwandelte. Oh, schöne Kotzereien, mitten
auf dem Pflaster breitgelaufene Fladen von
Erbrochenem, über die die verspäteten und
feinfühligen
Leute
hinwegzusteigen
gezwungen waren, um nicht hineinzutreten!
Wirklich, das Viertel war sauber! Ein Fremder,
der hier hergekommen wäre und das Viertel
vor dem morgendlichen Fegen besichtigt hätte,
würde einen schönen Eindruck von ihm
mitgenommen haben. Aber um diese Zeit
waren die Säufer unter sich, und Europa war
ihnen schnuppe. Himmelsakrament! Die
Messer fuhren aus den Taschen, und die kleine
Feier endete im Blut. Frauen schritten schnell
dahin, und Männer streiften mit Wolfsaugen
umher, die Nacht wurde undurchdringlich, war
aufgebläht von Scheußlichkeiten.
Mit den Beinen schlenkernd, zog Gervaise
immer noch hinauf und hinunter mit dem
einzigen Gedanken, unaufhörlich zu laufen.
Schläfrigkeit überkam sie, sie schlief ein,
eingewiegt durch das Schaukeln ihres Beins;
auffahrend schaute sie sich dann um, und sie
wurde gewahr, daß sie hundert Schritte ohne
Bewußtsein, wie tot zurückgelegt hatte. Ihre
Füße, die im Stehen hätten schlafen können,
weiteten sich in ihren durchlöcherten
Latschen. Sie hatte keinerlei Gefühl mehr, so
müde und leer war sie. Der letzte klare
Gedanke, der sie beschäftigte, war der, daß
dieses Weibsbild, ihre Tochter, in demselben
Augenblick vielleicht Austern aß. Darauf
verwirrte sich alles, sie behielt die Augen
offen, mußte sich aber zu sehr anstrengen, um
zu denken. Und das einzige Empfinden, das
inmitten der Vernichtung ihres Seins in ihr
fortbestand, war das Empfinden einer
Hundekälte, einer scharfen und tödlichen
Kälte, wie sie sie niemals verspürt hatte. Die
Toten frieren in der Erde bestimmt nicht so.
Unbeholfen hob sie ein wenig den Kopf und
bekam einen eisigen Gertenhieb ins Gesicht.
Es war der Schnee, der sich endlich entschloß,
vom rauchigen Himmel zu fallen, ein feiner,
dichter Schnee, den ein leichter Wind wirbelnd
daherwehte. Seit drei Tagen wartete man auf
ihn. Er fiel im richtigen Augenblick.
Da schritt Gervaise, die bei diesem ersten
Windstoß aufgewacht war, rascher aus.
Männer liefen, beeilten sich, nach Hause zu
kommen mit bereits weißen Schultern. Und als
sie einen sah, der langsam unter den Bäumen
daherkam, trat sie näher, sagte sie abermals:
»Mein Herr, hören Sie doch ...«
Der Mann war stehengeblieben. Aber er schien
nichts gehört zu haben. Er streckte die Hand
aus und murmelte mit leiser Stimme:
»Bitte um eine milde Gabe ...«
Beide sahen sich an. O mein Gott! Soweit war
es mit ihnen gekommen, Vater Bru bettelte,
Frau Coupeau ging auf den Strich! Mit
offenem Mund standen sie einander
gegenüber. Jetzt konnten sie sich die Hand
reichen. Den ganzen Abend war der alte
Arbeiter umhergestreift und hatte es nicht
gewagt, die Leute anzusprechen; und der erste
Mensch, den er anhielt, war ein Hungerleider
wie er. Herrgott, war das nicht ein Jammer?
Fünfzig Jahre gearbeitet zu haben und betteln!
Eine der tüchtigsten Wäscherinnen der Rue de
la Goutted'Or gewesen zu sein und am Rande
der Gosse enden! Sie sahen sich immer noch
an. Dann gingen sie, ohne irgend etwas
zueinander zu sagen, jeder in seiner Richtung
davon in dem
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