Der tote Raumfahrer
Rest aufzunehmen. Bis zum dreiunddreißigsten Tag hatten Krankheiten, Unfälle und ein Selbstmord ihre Anzahl soweit verringert, daß alle Überlebenden auf einmal Platz im Kettenfahrzeug fanden. Das Hin und Her hatte ein Ende. Wenn sie ohne Unterbrechung fuhren, würden sie Gorda am achtunddreißigsten Tag erreichen, schätzten sie. Am siebenunddreißigsten Tag hatte das Fahrzeug eine schwere Panne. Die für eine Reparatur erforderlichen Ersatzteile waren nicht verfügbar.
Viele waren zu schwach. Eines war klar: Ein Versuch, Gorda zu Fuß zu erreichen, würde so anstrengend sein, daß ihn niemand überleben konnte.
Siebenunddreißigster Tag. Sieben von uns – vier Männer (ich selbst, Koriel und zwei Infanteristen) und drei Mädchen – versuchen, Gorda in einem Gewaltmarsch zu erreichen. Die anderen bleiben währenddessen im Kettenfahrzeug und warten auf einen Rettungstrupp. Koriel kocht eine Mahlzeit, bevor wir aufbrechen. Er hat gesagt, was er vom Leben bei der Infanterie hält – scheint absolut nicht viel davon zu halten.
Einige Stunden, nachdem sie das Kettenfahrzeug verlassen hatten, kletterte einer der Infanteristen auf einen Felsvorsprung, um die Wegstrecke voraus in Augenschein zu nehmen. Er rutschte aus, schlitzte sich den Anzug auf und starb auf der Stelle an explosiver Dekompression. Später verletzte sich eines der Mädchen am Bein und blieb, als die Schmerzen zunahmen, weiter und weiter hinter ihnen zurück. Die Sonne ging unter, und sie durften keine Zeit verlieren. Jedermann in der Gruppe quälte sich in Gedanken mit derselben Gleichung, – ein Leben oder achtundzwanzig? – sagte aber nichts: Das Mädchen löste das Problem für sie, indem es bei einer Rast stillschweigend seine Luftzufuhr unterbrach.
Achtunddreißigster Tag. Jetzt nur noch Koriel und ich – wie in alten Zeiten. Der Infanterist krümmte sich plötzlich zusammen und erbrach sich heftig im Innern seines Helms. Wir standen da, ohne ihm helfen zu können, und mußten zusehen, wie er starb. Einige Stunden später brach eines der Mädchen zusammen und sagte, es könne nicht mehr weiter. Das andere beharrte darauf, so lange bei ihm zu bleiben, bis wir Hilfe von Gorda schickten. Konnten es ihr eigentlich nicht übelnehmen – sie waren Schwestern. Das war vor einiger Zeit. Wir haben eine Pause eingelegt, um Atem zu schöpfen. Ich bin fast am Ende. Koriel marschiert ungeduldig auf und ab und will wieder aufbrechen. Der Mann hat die Kraft von zwölf (Löwen?).
Später. Endlich für ein paar Stunden Schlaf haltgemacht. Ich bin sicher, Koriel ist ein Roboter – wie eine Maschine setzte er einen Fuß vor den anderen. Ein menschlicher Panzer. Sonne steht tief am Horizont. Müssen Gorda erreichen, bevor die lunare Nacht beginnt.
Neununddreißigster Tag. Steifgefroren aufgewacht. Mußte die Anzugheizung bis zum Maximum aufdrehen – fühle mich noch immer nicht gut. Denke, sie funktioniert nicht mehr richtig. Koriel meint, ich mache mir zuviel Sorgen. Zeit weiterzumarschieren. Fühle mich durch und durch steifgefroren. Frage mich ernsthaft, ob ich's schaffe. Kein Wort darüber verloren.
Später. Der Marsch war ein Alptraum. Bin immer wieder gestürzt. Koriel beharrt darauf, daß unsere einzige Chance die sei, aus dem Tal, in dem wir uns befinden, herauszuklettern und eine Abkürzung über einen hohen Bergrücken zu versuchen. Ich habe es bis zur halben Höhe der Spalte geschafft, die in Richtung des Rückens führt. Bei jedem Schritt den Einschnitt hinauf konnte ich Minerva sehen, direkt über der Mitte des Massivs, überall von klaffenden Wunden aus Orange und Rot bedeckt, wie ein (schauerliches?), uns verspottendes Gesicht. Dann wurde ich bewußtlos. Als ich wieder zu mir kam, hatte mich Koriel ins Innere irgendeiner Probegrabung geschleppt. Vielleicht wollte hier jemand einen Vorposten Gordas errichten. Das ist nun eine Weile her. Koriel ist weitermarschiert und hat gesagt, bevor ich bis drei zählen könne, sei Hilfe da. Mir wird immer kälter. Füße taub und Hände steif. Eisblumen bilden sich an der Innenseite der Helmscheibe – kann kaum noch sehen.
Denke die ganze Zeit an die reihenweise zurückgelassenen Leute dort draußen in der hereinbrechenden Nacht. Sind alle wie ich, fragen sich, ob sie wieder eingesammelt werden. Wenn wir aushalten können, kommt alles in Ordnung. Koriel schafft es. Selbst wenn es noch tausend Kilometer bis nach Gorda wären, Koriel würde es schaffen.
Denke an das, was auf Minerva geschehen ist,
Weitere Kostenlose Bücher