Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote vom Strand - Roman

Der Tote vom Strand - Roman

Titel: Der Tote vom Strand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
Vom Netzwerk:
braucht nur auf den richtigen Ausgleich im Körper zu achten, wenn man hundert Jahre alt werden will.«
    Sie zweifelte keinen Moment daran, dass Emil deHaavelaar das schaffen würde. Es würde zwar noch zwanzig Jahre dauern, aber er sah aus wie ein eleganter Grizzlybär. Breitschultrig und kräftig und mit der Ausstrahlung eines verwöhnten Filmstars. Seine weißen dichten Haare waren nach hinten gekämmt, sein Schnurrbart war üppig und gepflegt, und seine Hautfarbe verriet, dass er sich ausreichend Sonnenstunden zwischen den Dünen verschaffte, um wirklich jeden langen Winter zu überleben. Ihr fiel ein, dass Selma Perhovens das Wort »stolzieren« benutzt hatte, und sie hätte gern gewusst, warum.
    »Falls man einen Grund hat, in diesem Durcheinander so lange auszuhalten«, fügte er hinzu und spielte an seinem Cognacglas herum.
    »Ja«, sagte Moreno. »Das ist natürlich die Frage.«
    »Und was wollen Sie von mir?«, fragte deHaavelaar.
    Moreno zögerte einen Moment.
    »Winnie Maas«, sagte sie dann.
    DeHaavelaar knallte sein Glas auf den Tisch. Falsche Eröffnung, dachte Moreno. Pech.
    »Wer sind Sie?«, fragte deHaavelaar.
    »Ewa Moreno. Wie ich schon am Telefon gesagt habe. Kriminalbeamtin.«
    »Wenn ich um Ihren Ausweis bitten dürfte.«
    Moreno zog ihren Ausweis hervor und reichte ihn ihm. Er setzte eine Brille mit sehr dünnem und wahrscheinlich sehr teurem Gestell auf und musterte ihn genau. Gab ihn ihr dann zurück und nahm die Brille ab.
    »Weiß der Polizeichef darüber Bescheid?«
    Sie dachte eine Sekunde nach.
    »Nein.«

    Er leerte sein Glas auf einen Zug. Spülte mit einem halben Glas Milch nach. Moreno nippte an ihrem Cappuccino und wartete.
    »Und was zum Teufel haben Sie für einen Grund, in einer zwanzig Jahre alten Geschichte herumzuwühlen?«
    »Sechzehn«, sagte Moreno. »Ich wollte nur ein paar einfache Fragen stellen. Warum regen Sie sich so auf?«
    DeHaavelaar beugte sich über den Tisch vor.
    »Ich rege mich nicht auf«, fauchte er. »Ich bin wütend. Sie kommen nicht einmal hier aus der Stadt, haben von nichts eine Ahnung, und ich werde Ihnen keine verdammte Frage beantworten. Stattdessen werde ich mich beim Polizeichef beschweren!«
    Er erhob sich, strich sich kurz mit Daumen und Zeigefinger über den Schnurrbart und marschierte aus dem Lokal.
    Du meine Güte, dachte Moreno. Hat sie Aristokrat gesagt, diese Selma Perhovens?

31
    Am Spätnachmittag und in den frühen Abendstunden überkam sie die Hoffnungslosigkeit.
    Das hing vielleicht mit dem Regen zusammen, der in einem nie versiegenden Strom von Südwesten her heraufzog. Sie lag auf dem unebenen Pensionsbett und versuchte zu lesen, aber sie konnte sich einfach nicht auf Dinge konzentrieren, die nichts mit Mikaela Lijphart und allen damit verbundenen Verwicklungen zu tun hatten.
    Und also auch mit ihr selber.
    Was mache ich hier, dachte sie. Was soll das alles bloß? Kriminalbeamtin auf Urlaub! Würde eine Fahrradreparateurin ihre sauer verdienten Ferienwochen damit verbringen, dass sie gratis Fahrräder repariert? Ich bin doch verrückt.
    Sie rief bei Clara Mietens an, doch ihr Lebensanker war noch immer nicht zu Hause. Sie rief auf der Wache an, doch Polizeianwärter Vegesack war dienstlich unterwegs. Sie rief die automatische Wetterauskunft an und erfuhr, dass Regenwolken über dem Atlantik schon Schlange standen.
    Klasse, dachte Inspektorin Moreno und fing zum vierten Mal mit derselben Seite an.
    Um sieben Uhr wählte sie zum ersten Mal Vera Saugers Nummer. Keine Antwort. Eine halbe Stunde später machte sie noch einen Versuch und wiederholte dieses dann in längeren Abständen.
    Nach dem Versuch um halb neun spielte sie mit dem Gedanken,
irgendwo essen zu gehen, verwarf ihn aber wieder. Die dubiose Hackfleischpastete des Vortages lud nicht zur Wiederholung ein. Stattdessen machte sie zweihundert Sit-ups und vierzig Liegestütze, und zwei Stunden später stand sie unter der Dusche und versuchte zu ergründen, warum in aller Welt Doktor deHaavelaar dermaßen außer sich geraten sein könnte.
    Ein Ergebnis fand sie nicht. Was nicht gerade überraschend war, da es nicht möglich war, eins zu finden, wie sie sich sagte. Es brachte wirklich nichts, auf so spärlicher Grundlage Schlussfolgerungen ziehen zu wollen. Eine Nadel in einem Heuhaufen zu suchen? Hoffnungslos. Das müsste doch sogar eine verwirrte Kriminalbeamtin begreifen.
    Und Achtzigjährige verhielten sich nicht immer logisch, auch wenn sie wie gepflegte Grizzlybären

Weitere Kostenlose Bücher