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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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fuhr zurück, stolperte über einen Hocker und prallte gegen die Wand. » Komm mit, Hanna. Komm mit mir, wir müssen hier verschwinden.«
    Hanna bewunderte, wie ruhig Kunun blieb, obwohl ihn dieser Auftritt ungeheuer ärgern musste. » Geh, Brüderchen«, sagte er sanft. » Meine Freundin zieht hier gerade ein, dabei willst du sie doch nicht unnötig stören.«
    » Hanna!«, schrie Mattim.
    » Du vergisst dich«, wiederholte Kunun kühl, immer noch unglaublich beherrscht. » Und jetzt raus hier.«
    » Was hast du mit ihr gemacht?« Der jüngere ging auf den älteren Bruder los.
    Hanna konnte es kaum glauben. Wie konnte dieser Mensch– ein Mensch!– das wagen? Mit erhobenen Fäusten sprang er auf Kunun zu, der Mattim schnell und geschickt abwehrte. Erst schmetterte er ihm den Koffer vor die Brust, dann ein Tritt und eine elegante Drehung. Der junge Mann prallte unsanft gegen die Kommode neben der Tür, riss Hannas Schminkutensilien herunter und schlug mit dem Kopf gegen den Spiegel. Kunun fackelte nicht lange, er zerrte ihn hoch, beförderte ihn aus der Wohnung und knallte die Tür zu. Von draußen kam ein Schrei, als wäre jemand gerade erschossen worden.
    » Herrje«, meinte Kunun, » er ist immer so theatralisch. Lass dich davon nicht beunruhigen.«
    Er legte seine Arme um sie, und sie barg den Kopf an seiner Schulter. Irgendwie war es Mattim gelungen, den Anzug seines Bruders zu zerreißen. Ein paar lose Fäden kitzelten sie an der Stirn.
    » Er ist ein bisschen verrückt, oder?«
    » Jede Familie hat ein dunkles Geheimnis. Selbst die königliche Familie der Schatten.«
    » Ist es deshalb? Soll er kein Schatten sein, weil er dann immer so bleiben müsste?« Sie hob das Kinn und sah ihn an. » Glaubst du, es kann besser mit ihm werden, solange er ein Mensch ist?«
    » Er war ein Schatten«, sagte Kunun. » Und auch ein Wolf. Er hat bereits sämtliche Verwandlungen durchgemacht, und das hat seinen Verstand angekratzt. Mattim kann sich nicht mehr verwandeln, Hanna. Deshalb wird er nie wirklich zu uns gehören– weder Schatten noch Wolf. Wir müssen damit leben, dass er so ist… und uns vor ihm in Acht nehmen. Das gilt besonders für dich.«
    Sie rieb sich die Arme und hoffte bloß, dass Mattims stürmische Attacke keine untilgbaren blauen Flecken hinterlassen hatte.
    » Unterschätz ihn nicht«, warnte er. » Er sieht aus wie ein Student, aber dieser Junge war einmal mein bester Gefolgsmann, bevor er abgedreht ist. Er ist ein ausgebildeter Soldat. Sie haben ihm ein Schwert in die Hand gedrückt, da war er gerade mal fünf, er reitet und kämpft wie kein Zweiter, und in Sachen Strategie macht ihm so schnell niemand etwas vor. Wenn er nicht so hitzköpfig wäre… Mattim hat Akink für mich erobert.«
    Hanna stutzte. » Wirklich? Das war e r ?« Merkwürdig, sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Mattim dabei gewesen war. Sie selbst hatte auf der Brücke gestanden, mit Mirita verhandelt und so Kununs Freilassung erzwungen. Sie selbst hatte den Schatten Befehle erteilt. Vielleicht war Mattim zu der Zeit in Akink gewesen, an Atschoreks Seite? Komisch, dass ihr ein solch wichtiges Detail entfallen sein sollte. Damals hatte sie nicht einmal gewusst, dass Kunun noch einen Bruder hatte, der kein Wolf war wie Wilder und Bela.
    » Mattim ist gefährlich. Pass also gut auf. Du solltest ihn nicht allein treffen, du solltest am besten überhaupt nicht mit ihm reden. Wenn er sich in den Gedanken hineinsteigern sollte, dass du nicht die Richtige für mich bist, wird ihn nichts davon abbringen, uns dazwischenzufunken.« Er seufzte. » So nützlich er als mein Hauptmann und Truppenführer war, so gefährlich ist er in diesem unberechenbaren Zustand.«
    » Trotzdem lässt du ihn frei herumlaufen«, stellte sie fest. » Warum?«
    Kunun zuckte die Achseln. » Immerhin ist er mein Bruder. Ich muss eben ein Auge auf ihn haben, damit seine Aktionen nicht aus dem Ruder laufen.«
    Ein Geräusch vor dem Fenster lenkte sie ab. Hanna zog die Gardine zur Seite und spähte neugierig durch die Scheibe, aber sie konnte nichts sehen. » Was ist los?«
    Kunun öffnete die Tür, damit sie über das Balkongitter in den offenen Hof hinunterschauen konnten. Dorthin, wo Mattim wild herumschrie und mit einer Stange die Bänke und Säulen bearbeitete.
    » Meine Güte«, entfuhr es ihr. » Der arme Junge.«
    Unten im Hof warf Mattim die Stange weg und marschierte hinaus. Sein Tobsuchtsanfall hatte gebührende Beachtung gefunden, er hatte Kunun oben

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