Der Unterhändler
erschien das Rumpelstilzchen erneut, diesmal mit einem Stapel Kleider, frisch gewaschen und gebügelt, allerdings nicht seine eigenen Sachen. Ein weißes Hemd, Krawatte, Strümpfe, Schuhe und ein zweiteiliger Anzug. Alles paßte wie Maßanfertigung. Der »Steward« deutete auf die Kleidungsstücke und klopfte leicht auf seine Uhr, als wäre nicht mehr viel Zeit zu verlieren.
Als Quinn angekleidet war, ging die Tür wieder auf. Diesmal war es der elegante Geschäftsmann, und er immerhin konnte sprechen.
»Mein lieber Junge, Sie sehen hundert Prozent besser aus und fühlen sich hoffentlich auch so. Meine aufrichtige Entschuldigung wegen der unkonventionellen Einladung hierher. Wir dachten, Sie würden sonst vielleicht keinen Wert darauf legen, zu uns zu kommen.
Er sah noch immer wie aus einem Herrenjournal aus und sprach wie ein Offizier aus einem der Garderegimenter.
»Eines muß man euch Arschlöchern lassen«, sagte Quinn, »Stil habt ihr.«
»Wie liebenswürdig«, murmelte der Geschäftsmann, »und wenn Sie jetzt bitte mitkommen wollen. Mein Vorgesetzter möchte sich mit Ihnen unterhalten.«
Er führte Quinn durch einen Korridor zu einem Lift. Während dieser nach unten summte, fragte Quinn nach der Zeit.
»Ach ja«, sagte der Geschäftsmann, »die Amerikaner und ihre Obsession mit der Tageszeit. Nun ja, es ist kurz vor Mitternacht. Ich fürchte, das Frühstück kann unser Chef von der Nachtschicht noch am besten.«
Sie verließen den Lift und gingen durch einen zweiten, üppig ausgelegten Korridor mit mehreren getäfelten Türen. Doch sein Begleiter führte Quinn bis zum anderen Ende, öffnete eine Tür, ließ Quinn eintreten und schloß sie wieder.
Quinn fand sich in einem Raum, der vielleicht ein Amtszimmer, vielleicht ein Salon war. Sofas und Fauteuils waren um einen mit Gas betriebenen Kamin gruppiert, doch im Erker stand ein imposanter Schreibtisch. Der Mann, der sich dahinter erhob und auf Quinn zukam, um ihn zu begrüßen, war älter als Quinn – schätzungsweise ein Mittfünfziger. Er trug einen Anzug aus der Savile Row. Von seiner Haltung und seinem straffen, nüchternen Gesicht ging Autorität aus. Doch sein Ton war recht liebenswürdig.
»Mein lieber Mr. Quinn, wie freundlich, daß Sie zu mir gekommen sind.«
Quinn wurde langsam ärgerlich. Allmählich reichte ihm dieses Theater.
»Bitte, können wir nicht mit dieser Farce aufhören? Sie haben mich in einer Hotelhalle ins Bein stechen lassen, mich bewußtlos spritzen und hierherbringen lassen. Okay. Völlig unnötig. Wenn ihr britischen Schnüffler mit mir reden wolltet, hättet ihr mich von ein paar Bobbys festnehmen lassen können. Injektionsnadeln und all dieser Quatsch, das war doch völlig überflüssig.«
Der Mann vor ihm schwieg und wirkte echt überrascht.
»Oh, ich verstehe«, sagte er dann. »Sie glauben, Sie befinden sich in den Händen des MI 5 oder MI 6? Ich fürchte, da täuschen Sie sich. Sie sind sozusagen bei der anderen Seite. Ich bin General Wadim Kirpitschenko, neuernannter Chef des Ersten Hauptdirektorats des KGB . Geographisch sind Sie zwar noch in London; aber Sie befinden sich auf exterritorialem Gebiet – in der Sowjetbotschaft in Kensington Park Gardens. Möchten Sie sich nicht setzen?«
Zum zweitenmal in ihrem Leben wurde Sam Somerville in den Lagerraum im Souterrain unter dem Westflügel des Weißen Hauses geführt. Sie hatte erst knapp fünf Stunden vorher die Maschine aus Madrid verlassen. Was die Inhaber der Macht auch von ihr wissen wollten, sie wünschten nicht, daß man sie warten ließ.
Zu beiden Seiten des Vizepräsidenten saßen die vier ranghöchsten Minister und Brad Johnson, der Nationale Sicherheitsberater. Anwesend waren auch der Direktor des FBI und Philip Kelly. Lee Alexander von der CIA saß allein. Und schließlich befand sich noch Kevin Brown in dem Raum, aus London nach Washington gerufen, um persönlich Bericht zu erstatten, was er gerade hinter sich gebracht hatte, als Sam hereingeführt wurde. Die Atmosphäre war, was sie betraf, eindeutig feindselig.
»Nehmen Sie Platz, junge Frau«, sagte Vizepräsident Odell. Sie setzte sich auf den Stuhl am Ende des Tisches, wo alle sie sehen konnten. Kevin Brown blickte sie düster an; er hätte lieber persönlich ihre Vernehmung durchgeführt und dann dem Komitee berichtet. Es freute ihn nicht, wenn ihm unterstellte Agenten direkt verhört wurden.
»Agentin Somerville«, sagte der Vizepräsident, »wir haben Ihnen die Rückkehr nach London
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