Der Verrat
zypriotischen Behörden haben keine Hinweise, dass er zur Zeit des Anschlags die Insel verlassen hat. Der Verdächtige behauptet, er habe Zeugen, die beschwören können, dass er am Tag des Anschlags zu Hause auf Zypern war.«
Ross wandte sich Garret zu, der in seiner typisch unverblümten Art herausplatzte: »Das klingt so, als hätte Rapp den Falschen erwischt.«
Die drei Männer vom Justizministerium wechselten betretene Blicke. »Noch will es keiner offen aussprechen«, räumte Stokes ein, »aber das ist unsere schlimmste Befürchtung.«
»Um Himmels willen«, stieß Ross hervor. »Hast du das schon dem Präsidenten erzählt?«
»Ich bin zum Mittagessen im Weißen Haus, da werde ich es ihm sagen.«
»Und Josh?«
Stokes schüttelte den Kopf. »Vielleicht könntest du es ihm sagen.«
Ross tat so, als würde er diese Aufgabe nur widerwillig übernehmen. In Wahrheit war es eine gute Gelegenheit, seinem Partner zu zeigen, über welch gute Verbindungen er verfügte. »Ich werde heute mit ihm zu Mittag essen, da kann ich es ihm sagen. Inzwischen solltet ihr versuchen, Rapp zu finden. Es wäre fatal, wenn unsere neue Regierung ihre Amtszeit mit einem Skandal beginnen muss.«
Ross hatte bewusst von »unserer« Regierung gesprochen. Stokes war ein nützlicher Mann, weil er einerseits politisch ehrgeizig und andererseits recht beliebt war. Deshalb hatten sie schon vor Monaten deutlich gemacht, dass er durchaus Chancen hatte, auch in der neuen Regierung vertreten zu sein. Sie hatten sogar angedeutet, dass irgendwann noch größere Aufgaben auf ihn warten könnten.
35
Baltimore, Maryland
Das Lagerhaus war alt – gebaut zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, als hier kriegswichtige Güter für die Briten gelagert wurden. Es war dies ein Teil des Lend-Lease-Systems, für das der damalige Präsident Franklin Delano Roosevelt so vehement gekämpft hatte. Als die USA in den Krieg eintraten, wurde das Ziegelgebäude vergrößert und noch stärker genutzt, bis die Nazis schließlich besiegt waren. Nach dem Krieg ließ sich U. S. Steel hier nieder, und mit dem Marshallplan behielt es seine Bedeutung, weil die USA nun Hilfsgüter für den Wiederaufbau nach Europa schickten. U. S. Steel machte gute Geschäfte, bis dann Ende der Siebzigerjahre der Niedergang einsetzte und die ganze Gegend nach und nach verfiel.
Als Scott Coleman sich das Haus zum ersten Mal ansah, gab es kein Fenster, das nicht zerbrochen war, das Dach war undicht, und eine Reihe von Mietern kamen und gingen, ohne sich die Mühe zu machen, ihren Plunder mitzunehmen. Die meisten Leute fühlten sich schon allein dadurch abgestoßen, dass das Gebäude so heruntergekommen war und nach Urin stank – doch Coleman, der schon einiges von der Welt gesehen hatte, war solche Dinge gewohnt. Wo andere nur die Verwahrlosung sahen, erkannte er eine Gelegenheit. Wie ein Freund in der Navy einmal richtig bemerkt hatte: »Es wird heute nichts mehr direkt am Meer gebaut.«
Das Gebäude stand in Sparrows Point südlich von Baltimore am Patapsco River – ein idealer Platz für Coleman, um seine SEAL Demolition and Salvage Corporation zu gründen. Er hatte zu viele Kameraden bei den Special Forces gesehen, die die Streitkräfte verließen und sich dann im zivilen Leben nicht mehr zurechtfanden. Coleman selbst hatte Albträume, dass er eines Tages gezwungen sein könnte, einen Job als Empfangsmitarbeiter in einem Wal-Mart-Supermarkt anzunehmen. Auf seinen langen Auslandseinsätzen kam er schließlich auf die Idee, eine eigene Firma zu gründen. Die Vorstellung, für jemand anders zu arbeiten, erschien ihm nicht sehr verlockend, nachdem er so lange Befehle befolgt hatte. Er stellte sich eine einfache Frage: Was hatte er bei der Navy gelernt? Da gab es einiges, aber zu den selteneren Fähigkeiten gehörten sicherlich Tauchen, Schießen und Dinge in die Luft zu sprengen. Wenn man vorhatte, sich im Rahmen der Gesetze zu bewegen, so waren vor allem die erste und die dritte dieser drei Fertigkeiten sehr gefragt. Häfen und Schiffswerften überall auf der Welt brauchten immer wieder Spitzentaucher, die wussten, wie man irgendwelche ausgedienten Dinge beseitigte.
Die kleine Firma, die Coleman vor dem Terroranschlag vom elften September gegründet hatte, erzielte heute Einnahmen von über fünfundzwanzig Millionen Dollar im Jahr und war auf über zwanzig Vollzeitmitarbeiter angewachsen. Über hundert unabhängige Personen standen bereit, um gelegentliche Aufträge von der Firma zu
Weitere Kostenlose Bücher