Der Verrat
lächelte sie wieder so an, so strahlend wie ein Kind. Er sah glücklich, jung und furchtbar gut aus.Aus einem Impuls heraus nahm Mae seine Hand. Er wunderte sich zwar, zog sie aber nicht weg.
»Das würde mir gefallen«, meinte er. »Freunde.«
»Kluge Entscheidung«, sagte Mae. »Es wäre auch nicht so sexy gewesen, wenn ich dich hätte niedermachen müssen. Eigentlich wollte ich dich nämlich in der Luft zerreiÃen und dich als gebrochenes, jämmerliches Häufchen Elend liegen lassen.«
Immer noch Hand in Hand gingen sie zurTür.
Mae sagte sich, sie müsse keine Schuldgefühle haben. Sie log nicht. Sie mochte Seb und wollte gerne für ihn da sein, wenn das Leben zu Hause für ihn so furchtbar war. Er hatte ihr die Hand gereicht, obwohl er sie kaum gekannt hatte. So viel war sie ihm wenigstens schuldig.
Er wusste, dass Jamie ein Geheimnis hatte, und er hatte gesehen, wie Gerald etwas Unerklärliches getan hatte. Es war nur vernünftig, ihn imAuge zu behalten.
Sie würde sich nicht schuldig fühlen, nur weil sie auf ihren Bruder aufpasste.
Mae stieà dieTür auf. Sie ging einen halben Schritt vor Seb und die Nachmittagssonne schien ihr geradewegs ins Gesicht und blendete sie einenAugenblick lang.
Vielleicht wollte sie jetzt, wo die Ryves-Brüder wieder da waren, nicht ganz allein sein. Na und? Eigentlich sollte sie sich darüber freuen. Zum ersten Mal im Leben wollte sie Schwierigkeiten aus demWeg gehen.
Langsam verwandelte sich das gleiÃende Licht vor ihrenAugen in helle, tanzende Punkte. Sie blinzelte und dann sah sie Jamie, der wohl gesehen hatte, wie sie in das Gebäude gegangen war, und nun auf sie wartete. Er starrte ihre Hand an, die noch in Sebs lag.
»Hey«, sagte Mae, als sie seinen erst ungläubigen, dann zornigen Gesichtsausdruck sah und erkannte, wie das für ihn aussehen musste. »He Jamie!Warte!«
Doch Jamie wartete nicht. Er sagte kein einzigesWort. Er sah sie noch einmal mit diesem erstaunten, verletzten Blick an, dann drehte er sich um und rannte davon.
Mae lieà Sebs Hand los und rannte ihrem Bruder nach, doch als sie um die Ecke des Schulgebäudes kam, war er verschwunden.
Einfach so.Wie durch Zauberei.
Mae suchte ungefähr eine Stunde nach ihm, dann gab sie auf und ging nach Hause, wo sie ihre Mutter im Salon vorfand, wie sie gerade mit einer Botin eines magischen ZirkelsTee trank.
»Ãh«, sagte Mae, schlagfertig und brillant wie immer.
Annabel strahlte vor höflicher Entschlossenheit, eine perfekte Gastgeberin zu sein, und war gleichzeitig bleich und wirkte angestrengt wie ein äuÃerst höflicher Geist.
Die Botin des magischen Zirkels sah wesentlich normaler aus. Sie hatte dunkles Haar und trug ein elegantes Kostüm, aber Mae konnte sie sich auch in Jeans und Pullover vorstellen. Doch in diesem Moment legte sie den Kopf schief und Mae sah ihre Ohrringe. Es waren Kreolen mit winzigen Messern darin, echten Messern mit nadelscharfer Spitze.
Alan hatte erklärt, dass die Magier ihre Boten dazu veranlassten, solche Kreise mit Messern zu tragen â alsTodesdrohung für jeden, der sich mit ihnen anlegen wollte.
Mae war schon immer der Meinung gewesen, dass Schmuck aussagekräftig sein sollte.
Doch diesmal war der Schmuck nicht nötig. Mae hatte die Botin schon einmal gesehen.Alan und Nick hatten bei ihremAnblick dieWaffen gezogen und sie hatte ihre roten Geschäftsfrauenlippen zu einem Lächeln verzogen, das ein wenig zu ruhig war und ein klein wenig grausam, und gesagt: »BlackArthur meint, dass die Zeit gekommen ist. Er will ihn zurückhaben.«
Damals hatte Mae noch nicht einmal gewusst, wer BlackArthur war oder was er wollte. Jetzt wusste sie es.
Den Namen der Frau kannte sie nicht.
Annabel zwinkerte ihr zwei Mal zu. Es war der mütterliche Morsecode für: Gut gemacht, du bist zu mir und meinem Gast hereingeplatzt wie der Elefant auf der Suche nach einem neuen Porzellanladen.
»Das ist meineTochter Mavis«, sagte sie entschuldigend. Es war nicht ganz klar, ob sie sich für Maes plötzlichesAuftreten oder ihre pinkfarbenen Haare entschuldigte. »Mavis, das ist JessicaWalker. Sie ist eine Kollegin von mir, die vomAufsichtsrat eine Baugenehmigung haben möchte.«
»Ich habe einen Klienten, der seine Interessen gerne nach Exeter ausweiten möchte«, sagte JessicaWalker und zeigte beim Lächeln ein wenig die Zähne. »Wir sind
Weitere Kostenlose Bücher