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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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Schnurrbart und vermutlich auch Einlagen in den Schuhen, um größer zu wirken. Wenn Lucian ihm morgen im Aufzug begegnete, würde er ihn sicher nicht erkennen. „Begleiten Sie mich?“, sagte Weller jetzt. Es klang mehr wie ein Befehl als eine Frage.
    „Wohin denn?“, fragte Lucian und tat besorgter, als er war. Für einen FBI-Agenten war das noch keine Stresssituation, aber der Kunstsachverständige James Ryan müsste jetzt langsam extrem nervös werden.
    „Nur über den Gang.“
    „Ich brauche mein Telefon.“ Er drehte sich danach um.
    „Das ist gerade das Letzte, was Sie brauchen.“
    Weller wartete, bis Lucian über die Schwelle getreten war, folgte ihm hinaus und zeigte auf Zimmer 715, eine Tür weiter auf der anderen Flurseite. „Es ist gleich da drüben.“
    Verdammt! Für alle Eventualitäten hatten sie vorgesorgt, nur für diese nicht. Seine Verstärkung vom FBI war entweder unten in der Eingangshalle oder wartete draußen im Wagen, um Lucian zum Treffpunkt zu folgen. Sobald er sich dort von der Echtheit der Gemälde überzeugt hatte und sicher war, dass er den Architekten des Planes vor sich hatte, würde er ein Signalgeben, sein Team würde den Treffpunkt stürmen und das Matisse-Monster wegen Handel mit Diebesgut verhaften.
    Sobald er sich in Polizeigewahrsam befand, würden sie ihn verhören, um die Männer aufzuspüren, die für den Diebstahl der fünf Gemälde verantwortlich waren – die Kriminellen, an denen ihnen am meisten gelegen war.
    Gab Lucian kein Signal, würde sein Team wissen, dass er nur mit einem Boten unterwegs war, den sie beschatten mussten, in der Hoffnung, dass er sie zum Monster führte.
    Wenn etwas schiefging, würde Lucian darauf bestehen, Tyler Weil anzurufen und ihm von den Gemälden zu berichten. Das FBI überwachte Weils Telefon, und je nachdem, welchen vereinbarten Code Lucian benutzte, würde er wissen, welche Art von Hilfe er benötigte.
    Aber wenn Lucian jetzt von hier oben anrief, würden sie eingreifen und seine Tarnung auffliegen lassen. Was kein Problem wäre, wenn es sich bei dem Mann bei ihm im Hotelzimmer um den Dreh- und Angelpunkt der Operation gehandelt hätte. Aber das war er nicht.
    Es war sowieso egal, denn Lucian hatte sein Telefon nicht bei sich.
    Die Suite war mit seiner eigenen fast identisch. Obwohl es dämmrig war, weil die Vorhänge zugezogen waren und kein Tageslicht hereindrang, kam es ihm vor, als sah er nach Tagen in einem dunklen, feuchten Verlies zum ersten Mal wieder die Sonne. Instinktiv wollte er seine Augen abschirmen, aber er wusste aus Erfahrung, dass es nichts nützen würde. Denn das hier war kein Sonnenlicht – es war die atemberaubende Wirkung der Kunstwerke.
    „Das sind die Bilder“, bemerkte Weller unnötigerweise.
    Lucian wusste, dass seine erste Instinktreaktion so entscheidend war wie jeder andere Test, und so nahm er sich langsam und konzentriert jedes Gemälde einzeln vor und schnalzte dabei leise mit der Zunge.
    Der kleine Renoir mit den üppigen rosafarbenen Rosen wirkte so lebensecht, dass er am liebsten tief eingeatmet hätte, um den Rosenduft in der Luft zu entdecken. Er trat näher heran und untersuchte die Pinselstriche genau. Als er am Sonntag die Werke dieses Künstlers studiert hatte, hatte er sich auf die besondere Pinselstruktur und Farbgebung konzentriert, die für Renoir charakteristisch waren.
    Lucian brauchte keine Probe zu entnehmen – es gab keinen Zweifel, wer den Renoir gemalt hatte. Er ging weiter und konzentrierte sich auf den Strand von Scheveningen von Vincent van Gogh. Nachdem er sich das graugrüne stürmische Meer und die Küstenlandschaft genau angesehen hatte, fuhr er mit den Fingerspitzen darüber. Der dicke Farbauftrag eines Van Goghs sei Teil seines Fingerabdrucks, hatte Marie Grimshaw gesagt. In diesem sowie bei einigen seiner anderen Seestücke waren tatsächlich Sandkörner in die Farbe gemischt.
    Lucian konnte sie grobkörnig auf seiner Haut spüren.
    Jeder Kunststudent identifizierte sich mit Van Goghs verzweifeltem Genie; sein Wahnsinn und Scheitern waren ihr eigener Albtraum. Er erinnerte sich daran, wie wütend Solange auf einen ihrer Professoren gewesen war, der gesagt hatte, ein früher Tod sei es wert, wenn das eigene Werk so lange weiterlebte. „Das ist Anti-Leben“, hatte sie gekontert. „Wie kann es das wert sein, höchstes Ansehen zu erreichen, wenn man nicht mehr lebt, um es mitzuerleben?“
    Der Strand von Pourville von Claude Monet war im Gegensatz zu dem

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