Der Waechter
waren. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr an ihrem Handgelenk.
Zwölf Minuten nach acht. Fast die gleiche Zeit.
Es musste ein Ortswechsel sein. Zur gleichen Zeit an einem anderen Ort.
Wie hab ich das nun wieder angestellt?
Im Grunde konnte eine Zeitreise auch nur eine Sekunde zurückgehen. An einen anderen Ort. Fragte sich nur, wo sie auf der Rückreise wieder herauskam? Jenny schüttelte den Kopf. Sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Mutig machte sie zwei Schritte nach vorn, sah links und rechts die Straße entlang. Da, die Kreuzung am einen Ende der Straße kannte sie. Sie überquerte sie, wenn sie mit dem Fahrrad ins Freibad der Stadt fuhr.
Ruttberg!
Erleichtert atmete sie auf. Keine Unterwelt, keine allzu ferne Vergangenheit oder Zukunft. Sie hatte keine Ahnung, wie sie einen Zeitsprung initiieren konnte. Eine Fragmentwanderung ja, aber eine Zeitreise? Sie traute sich auch nicht, es zu versuchen. Wer wusste, wo sie dann landete? Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass es sie wie damals nach der Reise in die Siedlung wieder an Ort und Stelle zurück verschlagen würde. Und möglichst nicht zehn Jahre später. Sie hätte Probleme gehabt, das Simone zu erklären. Ein frostiger Schauer durchfuhr sie. Jenny schlang ihre Arme um sich und rieb die Oberarme, um sich etwas zu wärmen. Es war kalt wie in einem Kühlhaus und ihr Schlafanzug erstarrte langsam vor Kälte. Rhythmisch begannen ihre Zähne aufeinander zu klappern. Sie würde es keine weiteren fünf Minuten hier aushalten, ohne zu erfrieren. Gerade begann sie sich eine Geschichte auszudenken für den Fall, dass sie an einem der Häuser um Einlass betteln musste, da hörte sie ganz in der Nähe Stimmen. Mindestens zwei Personen unterhielten sich nicht weit von ihr entfernt und kamen näher. Langsam zog sie sich in den Schutz des Baumes zurück.
«Nett, dass du mich noch nach Hause begleitet hast», sagte eine weibliche Stimme.
Jenny erkannte sie sofort.
«Ehrensache», antwortete Konrad.
Es traf Jenny wie eine Kanonenkugel. Ein erstickter Schrei entwich ihr. Ihr Atem stockte. Reflexartig hielt sie die eine Hand vor den Mund, damit sie nicht laut herausschrie. Die Finger der anderen Hand krallte sie Halt suchend in den Baumstamm neben sich. Ohne Vorwarnung liefen ihr die Tränen über die Wangen, zunächst warm, dann erkalteten sie und schienen ebenso zu gefrieren wie ihr Herz. Alles in ihr war plötzlich erkaltet und eingefroren.
Stefanie Bergmann!
Die engelsgleiche, perfekte Stefanie Bergmann. Erst hatte sie Jenny Rene abspenstig gemacht und nun krallte sie sich Konrad!
Konrad und Stefanie blieben vor einem der Häuser ihr gegenüberstehen. Konrad sah aufmerksam in Jennys Richtung. Er musste ihren Aufschrei gehört haben. Eine Sekunde lang trafen sich ihre Blicke. Als er Jenny bemerkte, sah er zu Boden und trat nervös auf der Stelle. Stefanie plauderte munter weiter. Schaute mit ihrer blonden Goldmähne schüchtern zu Boden, dann wieder mit einem zuckersüßen Augenaufschlag zu Konrad.
Sie will, dass er sie küsst. Ganz klar!
Jenny konnte es an dem nervösen, mädchenhaften Getue erkennen.
Wehe!
Warum hatte er Stefanie nach Hause gebracht? Er hatte überhaupt nichts mit Ruttberg zu schaffen! Der einzige Grund, der ihn hierher verschlagen haben konnte, war Stefanie. Jenny hielt sich die schmerzende Brust.
Wie komm ich hier bloß wieder weg?
Immer wieder sah Konrad in Jennys Richtung. Er wirkte zunehmend angespannt. «Also dann, ich muss los», sagte er schließlich zu Stefanie, die gerade ins Schweigen verfallen war.
Überrascht schaute sie zu ihm auf. «Oh. Ja. Okay. Also, bis dann. Und noch mal vielen Dank», haspelte sie, öffnete die Gartentür und ging langsam auf die Haustür zu, nicht ohne sich mehrfach zu Konrad umzudrehen.
Kaum hatte Stefanie die Tür hinter sich geschlossen, rannte Konrad aufgebracht zu Jenny. «Was machst du hier?» Seine Stimme vibrierte zornig. Als er Jennys tränenüberströmtes Gesicht sah, verstummte er und ein Ausdruck von Erschütterung machte sich auf seinem Gesicht breit.
Jenny schüttelte ungläubig den Kopf, unfähig ein Wort hervorzubringen.
Konrad schien langsam zu dämmern, wie die Situation auf sie gewirkt haben musste, und kam ihr zögernd näher. Mit beiden Händen hielt er Jenny an den Schultern fest, beugte sich zu ihr hinunter und blickte ihr tief in die Augen. Ein trüber Schleier hatte sich über seine sonst so strahlend hellen Augen gelegt.
«Jenny», sagte er und
Weitere Kostenlose Bücher