Der weite Himmel: Roman (German Edition)
auszukommen«, sagte ihre Schwester. »Jedesmal, wenn er sie sieht, strahlt er, als ob für ihn gerade die Sonne aufgegangen wäre.«
»Weil er genau weiß, daß er unweigerlich mit ihr im Bett landen wird.« Willa mußte lachen, als sie Lilys mißbilligenden Blick auffing. »Na ja, wenn es die beiden glücklich macht. Ich kann nur nicht begreifen, warum alle Welt so verrückt auf Sex ist.«
»Hast du Angst davor?«
Diese Frage, und dann auch noch ausgerechnet aus Lilys Mund, kam für Willa so unerwartet, daß es ihr beinahe die Sprache verschlug. »Wie bitte?«
»Ich hatte immer Angst davor; schon bevor ich Jesse kennenlernte, während unserer Ehe und auch noch danach.« Mit mechanischen Bewegungen sammelte Lily die Dosen ein. »Ich glaube, es ist ganz natürlich, sich davor zu fürchten, wenn man noch keine Erfahrung hat. Man weiß nicht, wie man sich verhalten soll oder ob man etwas falsch macht, und man will sich auf gar keinen Fall lächerlich machen.«
»Was kann man denn dabei schon falsch machen?«
»Viel. Ich habe vieles falsch gemacht oder glaubte es zumindest. Aber bei Adam war alles anders. Als ich erkannt hatte, daß ich ihm wirklich etwas bedeute, hatte ich überhaupt keine Angst mehr.«
»Wie könnte man sich auch vor Adam fürchten?«
Ein feines Lächeln spielte um Lilys Lippen, dann wurde
sie wieder ernst. »Du hast noch kein Wort darüber verloren, daß ich, du weißt ja, daß ich mit ihm zusammen bin.« Sie atmete tief aus und sah zu, wie ihr Atem in der kühlen Luft einen feinen Nebel bildete, der sich dann gleich wieder auflöste. »Daß ich mit ihm ins Bett gehe.«
»Tatsächlich?« Willa schnalzte mit der Zunge. »Ich dachte, er würde jeden Abend an der Hintertür auf dich warten und dich kurz vor dem Morgengrauen wieder zurückbringen, weil ihr heimlich Canasta spielt. Und jetzt erzählst du mir, daß ihr miteinander schlaft? Ich bin schockiert.«
Das Lächeln kehrte auf Lilys Gesicht zurück. »Adam meint, wir würden niemanden an der Nase herumführen.«
»Warum solltet ihr auch?«
»Er … er hat mich gebeten, zu ihm zu ziehen, aber ich wußte nicht, was du dazu sagen würdest. Immerhin ist er dein Bruder.«
»Du machst ihn glücklich.«
»Das möchte ich auch.« Sie zögerte kurz, dann zog sie eine Kette aus ihrem Hemd und schloß die Finger um den Anhänger. »Er will … er hat mir das hier gegeben.«
Willa trat näher und blickte in Lilys Hand. Es war ein schlichter, mit kleinen Diamanten besetzter Goldring. »Er gehörte meiner Mutter«, flüsterte Willa. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Adams Vater hat ihn ihr geschenkt, als er sie heiratete.« Sie hob den Kopf und sah Lily an. »Adam hat dich gebeten, seine Frau zu werden.«
»Ja.« Sein Heiratsantrag hatte sie zutiefst gerührt. Es waren schlichte, aufrichtige Worte und ernstgemeinte Versprechungen gewesen. »Ich konnte ihm noch keine Antwort geben, es kam mir unrecht vor. Ich habe schon einmal soviel Unglück verursacht …« Sie brach ab. »Ich war schon einmal unglücklich verheiratet«, berichtigte sie sich. »Außerdem bin ich erst ein paar Monate hier, deswegen dachte ich, ich sollte zuerst mit dir sprechen.«
»Das hat mit mir überhaupt nichts zu tun, in keinster Weise«, beharrte sie, als Lily protestieren wollte. »Diese Angelegenheit geht nur Adam und dich etwas an. Ich freue mich sehr für euch beide. Mach den Ring von der Kette ab,
Lily, steck ihn an und geh Adam suchen. Nein, nicht weinen.« Sie beugte sich vor und gab Lily einen Kuß auf die Wange. »Sonst denkt er noch, etwas wäre nicht in Ordnung.«
»Ich liebe ihn.« Lily streifte die Kette über den Kopf und löste den Ring. »Ich liebe ihn von ganzem Herzen. Er paßt«, murmelte sie, als sie sich den Ring an den Finger steckte, »genau wie Adam gesagt hat.«
»Er paßt wie für dich gemacht«, stimmte Willa ihr zu. »Geh zu Adam und sag ihm, daß du ihn heiraten willst. Ich räume inzwischen hier auf.«
Als der Wagen über die holprige Zubringerstraße fuhr, räkelte sich Tess genüßlich.
»Für jemanden, der gerade ein Wettschießen verloren hat, siehst du ausgesprochen selbstzufrieden aus.«
»Ich fühle mich auch rundum wohl, ich weiß nur nicht, warum.« Tess ließ die Arme sinken, sah aus dem Fenster und bewunderte die Landschaft. Nur schneebedeckte Berge und endloses, weites Land. »Mein Leben ist völlig aus den Fugen geraten. Ein wahnsinniger Killer läuft immer noch frei herum, ich habe seit zwei Monaten keine Maniküre
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