Der Wolf der Wall Street: Die Geschichte einer Wall-Street-Ikone (German Edition)
versucht hatte, mir das Leben zu nehmen. Wieso rührte sie das nicht? Es stimmte schon: Ich hatte ihr gegenüber wie ein Ungeheuer gehandelt, nicht nur auf der Treppe, sondern schon in den Monaten vor dieser abscheulichen Tat. Oder vielleicht schon seit Jahren. Seit den ersten Jahren unserer Ehe hatte ich unser unausgesprochenes Abkommen ausgenutzt - dass ich ihr „das Leben" ermöglichte und mir dafür gewisse Freihei ten nehmen durfte. In dieser Auffassung mag ein Körnchen Wahrheit gesteckt haben, aber ich hatte die Grenze bei Weitem überschritten. Aber trotz allem fand ich, dass ich Mitleid verdient hatte.
Fehlte es der Herzogin an Mitgefühl? War eine gewisse Kälte in ihr, ein unerreichbarer Winkel ihres Herzens? Eigentlich hatte ich diesen Verdacht schon immer gehabt. Die Herzogin war genauso kaputt wie ich - wie alle. Sie war eine gute Frau, aber sie hatte ihr eigenes Päckchen mit in die Ehe gebracht. Ihr Vater hatte sie als Kind vernachlässigt. Sie hatte mir erzählt, dass sie sich an Samstagen und Sonntagen immer fein gemacht hatte - so prachtvoll wie sie damals schon war, mit fließenden blonden Haaren und einem Engelsgesicht - und darauf wartete, dass ihr Vater sie zum Essen oder zur Achterbahn auf Coney Island, nach Riis Park oder an den Strand von Brooklyn mitnehmen und allen verkünden würde: „Das ist meine Tochter! Seht, wie schön sie ist! Ich bin so stolz auf sie." Aber sie wartete auf der Treppe vor der Haustür und wurde enttäuscht, denn entweder kam er überhaupt nicht, oder er rief an und brachte sie mit einer lahmen Ausrede auf.
Suzanne hatte ihn natürlich gedeckt - sie hatte Nadine erzählt, ihr Vater würde sie lieben, aber er sei von seinen eigenen Dämonen besessen, die ihn zu dem Leben eines Wanderers und zu einem entwurzelten Dasein trieben. Bekam ich das jetzt ab? War ihre Kälte das Ergebnis der Mauern, die sie als Kind errichtet hatte und die verhinderten, dass aus ihr eine mitfühlende Frau wurde? Oder klammerte ich mich nur an einen Strohhalm? Vielleicht war das ja der Lohn - für die ganze Schürzenjägerei, für die Blue Chips und Nasdaqs, für die Hubschrauberlandungen um 3:00 Uhr morgens, für die Worte im Schlaf an die Nutte Venice, für die Masseuse und dafür, dass ich die Stewardess begrapscht hatte ...
Oder war das ein subtilerer Lohn? Lag es an den ganzen Gesetzen, die ich gebrochen hatte? An den ganzen Aktien, die ich manipuliert hatte? An dem ganzen Geld, das ich in die Schweiz geschmuggelt hatte? Daran, dass ich Klotzkopf Kenny Greene abserviert hatte, der mein loyaler Partner gewesen war? Das war jetzt schwer zu sagen. Die letzten zehn Jahre meines Lebens waren unsagbar kompliziert gewesen. Ich hatte ein Leben gelebt, von dem man sonst nur in Romanen liest. Und doch war das mein Leben. Meins. Zum Guten oder Schlechten - ich, Jordan Belfort, der Wolf der Wall Street, war ein richtig wilder Mann gewesen. Ich hatte mich immer als kugelsicher betrachtet - ich entging dem Tod und der Verhaftung, ich lebte wie ein Rockstar, ich konsumierte mehr Drogen als 1.000 Menschen nehmen und überleben dürfen, damit sie davon erzählen können.
Diese Gedanken rasten durch meinen Kopf, als ich meinen zweiten Tag in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des Delray Medical Centers beschloss. Und während die Drogen weiter aus meinem Großhirn herausflossen, wurde mein Verstand immer schärfer. Ich würde bald wieder aufspringen - ich war bereit, mich der Welt mit all meinen Fähigkeiten zu stellen; bereit, aus dem alten Bastard Steve Madden Hackfleisch zu machen; bereit, den Kampf gegen meinen Gegenspieler Special Agent Gregory Coleman wieder aufzunehmen; und bereit, die Herzogin zurückzuerobern, koste es, was es wolle.
Am nächsten Morgen wurde ich direkt nach der Medikamentenausgabe wieder in die Gummizelle gerufen; dort warteten zwei Ärzte auf mich. Der eine war dick und der andere sah eher normal aus, hatte aber hervorquellende blaue Augen und einen Adamsapfel von der Größe einer Pampelmuse. „Wohl ein Drüsenproblem", dachte ich. Sie stellten sich als Dr. Brad" und Dr. Mike,,, vor und schickten gleich die Pfleger hinaus. Interessant, dachte ich - aber lange nicht so interessant wie die ersten zwei Minuten des Gesprächs, in denen ich zu dem Schluss kam, dass die beiden besser zu Komiker taugten denn zu Drogenberatern. Oder war das ihre Methode? Ja, die beiden schienen mir ganz in Ordnung zu sein. Irgendwie mochte ich sie sogar. Die Herzogin hatte sie mit
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