Der Wunschtraummann
aber dann ist sie auch schon wieder verschwunden, und er kläfft mich an: »Okay, da lang!« und zeigt auf die grüne Gruppe, die bereits zum anderen Ende des Parks sprintet.
Rasch werfe ich Mantel und Rucksack in den Lieferwagen, ziehe mir das grellgrüne Leibchen mit der Nummer 34 über und laufe los über den Rasen. Es ist eisigbitterkalt, und die Kälte füllt mit einem Schlag meine Lungen, als ich in tiefen, gierigen Zügen einatme.
»Na los, mach schon! Lass deine Mannschaft nicht hängen!«, brüllt er mir hinterher, als ich stolpernd durch den Park zum grünen Team galoppiere.
Doch statt näher zu kommen, scheinen sie in immer weitere Ferne zu rücken. Wie eine Fata Morgana. Oder ein Regenbogen. Nur dass am Ende kein Topf mit Gold wartet – nur Sit-ups, Kniebeugen und irgendwas, das sich Hockstrecksprung nennt. Was sich im Schutz meines warmen, ergonomisch geformten, bequemen Schreibtischstuhls spaßig und interessant anhörte, aber nun im kalten dunklen Wimbledon Park nur noch halb so verlockend klingt.
Und dann, als ich schon glaube, dass mir die Lunge gleich in der Brust zerplatzt, hole ich sie doch noch ein, allerdings nur, weil sie nun nicht mehr laufen, sondern sich auf dem Rasen in einer Reihe aufgestellt haben und Liegestütze machen. Mit einem Blick zum Kursleiter hebe ich die Hand zu einem indianermäßigen »Hugh«-Zeichen. Sprechen kann ich nicht. Mein ganzer Körper ist im Schockzustand angesichts dieser unvermittelten körperlichen Anstrengung, und ich muss mich vornüberbeugen und erst mal wieder zu Atem kommen.
»Schönen Spaziergang gehabt?«, donnert der Kursleiter mir ins Ohr, nachdem er sich von hinten angeschlichen hat.
Ich springe fast aus der Hose vor Schreck. Bloß fehlt mir leider die Kraft dazu.
»’tschuldigung … wollte Sie einholen …«, japse ich gequält, doch er lässt mich gar nicht ausreden.
»Fünfzig Sit-ups«, befiehlt er schroff.
Und ich hab Woody für einen Schleifer gehalten.
Ich lasse mich ins Gras plumpsen und falle nach hinten. Das Training geht noch keine fünf Minuten, und ich bin schon völlig kaputt. Eigentlich will ich einfach nur hier liegen, aber das geht nicht. Direkt über mir steht ein furchteinflößender Kerl, der schon anfängt zu zählen.
»Eins … zwei … drei …«
Okay, ich kann das. Es sind bloß fünfzig Sit-ups. Wird mich schon nicht umbringen. Entschlossen verschränke ich die Arme hinter dem Kopf, hole tief Luft und lege los …
Ich nehme alles zurück. Ich glaube, es wird mich umbringen.
Zwanzig qualvolle Minuten später habe ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Was diesmal nichts mit zu scharfem Essen zu tun hat, sondern damit, dass die fünfzig Sit-ups erst der Anfang waren. O ja. Wir machen Sprintstaffellauf, Liegestütze, Hockstrecksprünge aus dem Liegestütz – wobei man sich hinhocken, die Beine mit einem Sprung nach hinten ausstrecken und dann wieder aufspringen muss, was offen gestanden unglaublich schmerzhaft ist. Ganz zu schweigen von den Hampelmännern, den Ausfallschritten und dem Herumrobben auf den Ellbogen.
Nein, das ist kein Witz.
Und ja, ich habe dafür gutes Geld bezahlt.
Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so kaputt. Wenn man nicht nachkommt, muss man umso mehr Einheiten machen, also versuche ich mit letzter Kraft mitzuhalten, aber es gibt fitte Menschen und fitte Menschen . Die Übrigen im grünen Team sind allesamt olympiareif. Irgendwann müssen wir uns zu zweit zusammentun und so tun, als seien wir Soldaten und einer aus unserer Schwadron sei bei einem Bombenangriff verwundet worden, und wir müssen ihn in Sicherheit bringen. Mein Partner ist Gary. Der ist gut eins achtzig groß und macht »nur so zum Spaß« Triathlon. Ich sage bloß so viel: Als ich ihn auf dem Rücken zu unserem »Bunker« schleppen soll, breche ich unter der Last fast zusammen.
Weshalb ich mich jetzt auch hinter einem Baum verstecke. Na ja, tut mir leid, aber mir blieb nichts anderes übrig. Unser Kursleiter sagte uns, wir sollten ein paar Runden um den Park laufen, und meine Beine sind schwer wie Blei. Ich kann kaum gehen, geschweige denn rennen. Und dabei könnte ich jetzt gemütlich zu Hause sitzen und fernsehen. Oder ein Gläschen Wein trinken. Oder in der Badewanne liegen. Oder von mir aus die Handwäsche machen. Machen Leute so was hier wirklich zum Spaß? Aus freien Stücken? Mehrmals die Woche?
Vorsichtig luge ich hinter dem Baumstamm hervor und sehe, wie etliche grüne Leibchen an mir vorbeisausen. Die
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