Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
einem geflügelten Menschen glich und ganz von orangen Flammen umgeben war. Einige dieser Wesen waren über das Wandbild verteilt. Immer befanden sie sich in dramatischen, auch heroischen Umständen: Sie retteten andere Geschöpfe, arbeiteten an schönen Gebäuden oder schwebten hoch über der Welt.
In einer kontrastreich gemalten Szene war die linke Hälfte des Himmels sehr hell, die rechte dagegen tief verschattet. Eine Gruppe flammender Geschöpfe war beim Flug nach links dargestellt – von der Nacht in den Tag. Oder vielleicht
. . .
aus der Finsternis ins Licht.
Tamwyn betrachtete die Szene lange. Könnten diese Leute zu den Sternen fliegen? Und wenn ja, bedeutete es, dass einige sterbliche Geschöpfe tatsächlich erfolgreich diese Reise gemacht hatten? Oder zeigte das Bild nicht, was sie getan hatten, sondern wonach sie sich, wie Tamwyn, sehnten?
Er trat näher heran und untersuchte die Geschöpfe – ihre Flügel, ihre orangen Flammen. Wer waren sie?
Ayanowyn.
Dieses Wort kam ihm plötzlich in den Sinn, woher, konnte er nicht erklären. Und dann verstand er auf ebenso mysteriöse Weise, was damit gemeint war.
Feuerengel.
Er klopfte sich mit der Handwurzel auf den Schädel.
Feuerengel? Sei nicht absurd!
Erstens sagte hier niemand etwas, wie konnte er also irgendwelche Wörter hören? Und zweitens konnte kein Geschöpf, so bizarr es auch sein mochte, mit solchen verzehrenden Flammen leben. Selbst die Salamander, die er und Scree so oft in Feuerwurzel gejagt hatten und die so gern in Feuerschloten badeten, mussten sich regelmäßig abkühlen, sonst wären sie gebraten worden.
Er bemerkte eine weitere gemalte Gestalt, bei der er den Atem anhielt. Denn sie hatte er schon viele Male zuvor in seinen Träumen gesehen. Es war ein großer, robuster Mann mit einer wilden grauen Mähne, die ihm über die Schultern hing. Und in der Hand hielt er eine brennende Fackel.
Krystallus! Der Maler dieses Wandbilds, wer er auch sein mochte, hatte von ihm gehört. Oder ihn vielleicht sogar gekannt.
Tamwyn ging langsam im Kreis und klopfte nachdenklich auf den Griff seines Stabs, während er die Bilderreihen studierte. Plötzlich verstand er alles. Dieses Wandgemälde war eigentlich eine Geschichte, genau wie die Ringe des großen Baums. Die Geschichte von Avalon! Doch statt aus der Perspektive des Baums von der Welt zu erzählen, schilderte dieses Wandgemälde die Ereignisse aus der Sicht des Malers.
Wer
war
der Maler? Vor wie langer Zeit hatte er gelebt? Und welchem Volk angehört? Wo im riesigen Avalon war er zu Hause? Stammte von ihm nicht nur das Wandgemälde, sondern auch der Tunnel?
Tamwyn schüttelte den Kopf. Es gab keine Antworten auf diese Fragen. Zumindest keine, die er finden konnte.
Gerade da bemerkte er eine weitere Szene, die an die Decke gemalt war. Zuerst hielt er sie für eine große senkrechte Säule, die in kräftigem Braun mit gelegentlichen grünen Streifen dargestellt war. Aber als er ganz oben etwas sah, das wie der Ansatz von Ästen wirkte, und daneben Sterne, die durch Nebel leuchteten, wusste er, was das wirklich war. Der Stamm des Baums!
Mit angehaltenem Atem entdeckte er noch etwas. Auf einer Seite des Stamms, nahe der Spitze, war eine Art Höcker, der sich nach außen wölbte wie ein Knoten. In seiner Mitte befand sich eine tiefe, schalenförmige Einbuchtung, die den Ästen darüber zugewandt war. Sie war vollkommen rund und erinnerte ihn an die Krater, die er in Feuerwurzel gesehen hatte, nur war diese lebhaft grün gefärbt. Plötzlich fiel ihm ein, wie sein Vater Merlins Astloch beschrieben hatte:
Von dort konnte man die Äste des großen Baums sehen, die zu den Sternen führen.
Tamwyn nickte verwundert.
Merlins Astloch.
Dann bemerkte er etwas Sonderbares. Ein dünnes silbernes Band fiel aus dem Astloch hinunter zum unteren Teil des Stamms. Es war mit leichten, fast durchsichtigen Strichen gemalt und zeigte nicht eindeutig, ob es tatsächlich etwas war, das sich tief innerhalb des Stamms, weit unter derRinde befand. Jedenfalls sank es steil herab wie eine fast senkrechte Treppe.
Könnte das eine Treppe zum Astloch sein? Und wenn ja, wie finde ich sie?
Tamwyn runzelte die Stirn. Noch mehr Fragen!
Wieder drang ihm dieses besondere Geräusch ins Bewusstsein, das von weiter unten im Tunnel kam. Jetzt flüsterte es, jetzt rauschte es, jetzt klopfte es wie eine ferne Trommel.
Beim Bart des Zauberers, was ist das?
Er wandte sich dem Geräusch zu und war entschlossen, wenigstens auf diese
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