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Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition)

Titel: Des Teufels Sanduhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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verlegen.
    »Ja, ja, da hast du Recht, Kind. Das sagte sie. Sie sagte: Großmutter, doch leider ist er bös auf mich. Ich war zu dumm. Zu dumm war ich. Ja, das hat sie gesagt. Hatte es vergessen, hatte es ganz vergessen, doch du hast mich daran erinnert. Er war bös auf sie.«
    Anna nickte stumm, dann fragte sie: »Weißt du denn, weshalb er bös war auf die Rosi?«
    Die Alte schüttelte den Kopf und blickte auf ihre im Schoß gefalteten knochigen Finger. Schließlich stand Anna auf und verabschiedete sich höflich, dann machte sie sich in der glühenden sommerhitze auf den Weg zurück in ihr zerstörtes Heim.
    Wieso tut die Frau so etwas? Das soll sie nicht machen. Ist nicht gut, was sie da macht. Das darf sie nicht.
    Man kann das nicht mehr lange erlauben. Muss sich zurückhalten, die Frau. Muss sich verstecken. Muss sich in ihrem Haus verstecken und da bleiben. Darf hier nicht herumschleichen, darf hier nicht umhersuchen. Nein, das ist nicht gut. Ist nicht gut für die Frau. Wird sie selber sehen, dass es nicht gut ist für sie.
    Sie soll wieder fort von hier. Man muss sie vertreiben, muss sie verscheuchen, muss sie erschrecken. Ja, man muss sie so sehr erschrecken, dass sie fortläuft. Fortläuft und sich versteckt. Sie muss sich in ihrem Haus verstecken. In ihrem Haus muss sie sich verstecken, nicht hier. Hier soll sie nicht sein. Hier hat sie nichts verloren. Sie wird gesucht, die Frau. Sie wird gesucht.
    Man wird sie erschrecken müssen, fürchterlich erschrecken, und dann läuft sie schon weg. Wird schon fortlaufen und nicht wiederkommen. Darf nicht wiederkommen, sonst ist es zu spät. Ja, dann ist es zu spät. Schade, dass die Frau so dumm ist, schade, dass sie nicht weiß, was auf sie wartet.
    Anna war ein wenig ratlos. Der Besuch bei den Wiestalers hatte einerseits ihre Neugierde geweckt und ihr andererseits gezeigt, dass es keine Möglichkeit mehr gab, an mehr Informationen über den todbringenden Unhold zu kommen. Keine Möglichkeit außer zu warten – darauf, dass noch einmal etwas geschah und dass Anna das zweifelhafte Glück hätte, erneut Zeugin werden zu dürfen. Sie konnte und sie wollte jedoch nicht mehr warten.
    Sie verstand selbst nicht, weshalb sie plötzlich so besessen war. Doch vielleicht war es nur die notwendige Aufgabe, die sie brauchte, um zu überleben, um sich täglich aufzuraffen, zu essen, zu trinken und das Haus zu verlassen.
    Und ebendieses hatte sie gerade verlassen. Hatte Mergel und Balthasar nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt und sich in aller Herrgottsfrühe davongestohlen, um den Tag damit zu verbringen, die Quartiere des Aldringschen Heeres aufzusuchen. Heimlich, natürlich. Hier, innerhalb dieser kaiserlichen Truppen, vermutete sie, vertraute Gesichter zu erblicken. Vielleicht könnte man das eine oder andere aufschnappen, könnte sich eventuell sogar dem einen oder anderen zu erkennen geben, mit ihm sprechen, ihn fragen, was in der Zwischenzeit geschehen war. Anna war sich nicht sicher, wie sie das anstellen sollte, ob sie die Gelegenheit und den Mut haben würde, tatsächlich etwas herauszubekommen über die mysteriösen Vorfälle, deretwegen vor mittlerweile drei Jahren Liese und Therese hatten unschuldig sterben müssen.
    Die Truppen hatten überall in der Umgebung der Seen kurzzeitig Quartier genommen, um dann weiter in den Nordwesten zu ziehen. Ein Teil lagerte in den Dörfern, ein weiterer Teil hatte, so wie auch Anna es kannte, in selbstgebauten Zelten Platz gefunden oder nächtigte im Freien unter dem klaren sommerhimmel.
    In der Mitte zwischen Ammersee und Würmsee lag der riesige Tross. Der Anblick war Anna vertraut, doch eines bemerkte sie sofort: Es schien bei Weitem nicht mehr so viel zu essen zu geben, wie es zu ihren Heereszeiten der Fall gewesen war. Das konnte man unweigerlich an den ausgemergelten, klapprigen Gestalten erkennen, die in fast schon groteske Lumpen gekleidet vor ihren Lagern saßen und irgendwelchen Beschäftigungen nachgingen. Anna traute ihren Augen kaum, aber sie sah nicht nur Männer in Frauenkleidern, sondern auch solche, die sich ein Nonnengewand übergeworfen hatten, nur um ihre schmächtige Blöße zu bedecken.
    Nun saß Anna also wieder da, saß hinter einem radlosen Ochsenkarren, der mittlerweile als Müllhalde diente, und hatte damit ein Versteck gefunden, von wo aus sie zunächst beobachten und dann entsprechende Pläne schmieden konnte. Denn der Wagen stand genau an der zentralen Durchfahrtstraße des Zelt- und

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