Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
wann jemand betrunken ist.«
Zwei wie Arbeiter gekleidete Zwerge verließen das Begrüßungshaus und sahen zu den beiden Menschen, die sich auf dem leeren Hauptweg stritten.
»Wir suchen uns ein Gasthaus«, flüsterte Chane.
»Nein! Wir gehen zu den Eisenborten … jetzt sofort!«
Wynn drehte sich um, und plötzlich kippten die Säulen des Tunnels nach rechts. Die großen dampfenden Kristalle auf ihnen verloren ihre klaren Umrisse. Aber was auch immer geschah, Wynn wollte sich nicht herumkommandieren lassen. Nicht einmal von Chane … oder erst recht nicht von ihm.
»Es ist spät«, sagte er hinter ihr und zögerte. »Wir suchen die Schmiede, damit wir den Ort kennen, und morgen Abend kehren wir zu angemessener Zeit zurück.«
Wynn war in einen Nebel der Benommenheit gehüllt – bestehend aus Pfeifenrauch und dem Dampf der Kristalle, nicht aus Alkoholdunst –, aber diese Worte ergaben durchaus einen Sinn. Wie konnte sie Chane widersprechen, wenn er recht hatte? Das hasste sie. Vernünftige Argumente waren ein weiterer Trick gewesen, den ihre Vorgesetzten benutzt hatten, um sie zu manipulieren.
Wynn stellte fest, dass sie sich zusammen mit den Säulen zur Seite neigte, bis sie gegen eine von ihnen stieß. Mit einer Hand stützte sie sich am rauen Stein ab, bis sich die Säule wieder aufrichtete.
»Na schön«, stimmte sie Chane schließlich zu.
Schatten schnaubte leise und sah zu ihr hoch.
»Fang du nicht auch noch an«, warnte Wynn und ging los.
Sie stolperte über den Saum ihres Mantels.
Nach einigen schnellen Schritten fing sie sich wieder, noch immer davon überzeugt, dass sie nicht betrunken war. Es lag nur an der schrecklichen Luft im Begrüßungshaus.
Schatten lief neben ihr, jaulte und schnaubte abwechselnd. Chane erschien an ihrer anderen Seite. Warum war er so groß? Hier bei den Zwergen überragte er alle. Auch das ärgerte sie.
Sie kamen an mehreren geschlossenen Läden vorbei, ihre Schilder so verwittert, dass Wynn die Aufschrift nicht entziffern konnte.
»Jene Geschichte hast du mir nie erzählt«, sagte Chane und überraschte sie mit diesen Worten.
»Welche … welche Geschichte?«
»Über die weiße Frau, die du Li’kän nennst. Ich wusste nicht, dass du sie mit Worten davon abgehalten hast, dich zu töten.«
Wynn sah zu ihm hoch und wäre fast erneut gestolpert. Er wirkte sehr nachdenklich.
»Oh … das.« Sie zögerte. »Mir ist es selbst nicht ganz klar gewesen.«
»Das dachte ich mir«, sagte Chane.
»Was soll das denn heißen?«
»Nichts«, erwiderte er schnell. »Es erschien mir zu einfach. Passend für eine Geschichte.«
»Chap fand es heraus«, sagte Wynn. »Ich half ihm, als er begriffen hatte, worauf es ankam. Ausschmückungen gehören zum zwergischen ›Erzählen‹. Der Erzähler muss der Held sein. Fakten allein hätten für einen fairen Handel nicht ausgereicht.«
»Du hast dich wacker geschlagen«, sagte Chane. »Ich habe nicht gewusst, dass du zu einer solchen Darbietung fähig bist.«
Wynn errötete und war überrascht von ihrer Reaktion auf das Lob.
»Ich dachte, der Spott der Zwerge würde dich nach drei oder vier Sätzen vom Podium jagen«, fügte Chane hinzu.
Wynn blieb stehen. »Du hast was gedacht?«
Chane sah sie groß an. »Ich wollte nur sagen …«
Wynn äffte seine Stimme nach und stapfte weiter. Er hatte erwartet, dass die Zwerge sie vom Podium jagen würden? Na so was. Eine solche Meinung hatte er von ihr?
Sie brachte die Tunnel durcheinander und drehte sich mit der Absicht um, sie noch einmal zu zählen.
»Fünf!«, stieß sie hervor und ging zum letzten zurück, an dem sie gerade vorbeigekommen waren. »Suchen wir die Schmiede.«
Plötzlich drehte sich ihr der Magen um, vielleicht deshalb, weil der Boden unter ihr immer wieder schwankte wie das Deck eines Schiffes. Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
Chane sah sie noch immer erstaunt an, wie verblüfft von ihren letzten Worten – welch ein Tölpel.
Hammer-Hirsch hatte recht, die Schmiede war nicht zu übersehen. Mehrere Gebäude waren hier in den Fels gehauen, aber nur aus diesem einen kam noch Licht. Die alte Tür stand offen; ein warmes orangerotes Glühen fiel auf den Boden des Tunnels und erreichte die gegenüberliegende Wand.
»Die Schmiede ist noch geöffnet?«, fragte Wynn überrascht.
»Das halte ich für unwahrscheinlich«, sagte Chane. »Immerhin ist es nach Mitternacht und …«
Den Rest des Satzes hörte Wynn nicht. Wie lange waren sie im Begrüßungshaus
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