Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
ignorierte mich und blätterte zu einer weiteren Zeichnung. Es handelte sich um das Bild einer Hand. Haut und Muskeln waren beiseite gezogen, um Knochen und Gelenke zu zeigen.
»Ich habe das hier studiert, bevor ich versucht habe, meine Hände zu reparieren. Ich glaube nicht, dass Verdads Zeichnungen vollkommen korrekt sind, und doch habe ich das Gefühl, dass sie mir geholfen haben. Wer hätte sich vorstellen können, dass die Hand eines Menschen aus so vielen Knochen besteht?« Dann blickte er schließlich auf, bemerkte mein Unwohlsein und schloss das Buch. »Sobald du dich wieder erholt hast, empfehle ich dir, das einmal genauer zu studieren, Fitz. Ich glaube, jeder, der über die Gabe verfügt, sollte das tun.«
»Selbst Dick?«, fragte ich ironisch.
Chade überraschte mich damit, dass er die Schultern hob. »Es würde nicht schaden, es ihm zu zeigen. Manchmal ist er zu großer Konzentration fähig, Fitz. Wer weiß, wie viel Potenzial sich in seinem missgestalteten Schädel verbirgt?«
Das brachte mich auf einen neuen Gedanken. »Missgestaltet. Glaubst du etwa, dass man die Gabe auf Dick angewandt hat? Um das, was falsch ist, zu reparieren? Ihn wieder normal zu machen?«
Chade schüttelte langsam den Kopf. »›Anders‹ muss nicht unbedingt ›falsch‹ bedeuten, Fitz. Dicks Körper betrachtet sich selbst als richtig. Seine Andersartigkeit ist für ihn nicht mehr als … Nun, hier spekuliere ich natürlich, aber ich nehme an, dass es für Dick so ist, wie andere Menschen groß oder klein sind. Sein Körper ist nach seinem eigenen Plan gewachsen. Dick ist, was er ist. Vielleicht sollten wir dankbar dafür sein, dass wir ihn haben, auch wenn er anders ist.«
»Dann hast du also eingehend darüber nachgedacht, ja?« Ich versuchte, nicht anklagend zu klingen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie es für mich ist, Fitz«, bestätigte mir Chade leise. »Es ist, als hätte sich eine Zellentür für mich geöffnet, und ich könnte endlich frei durch die Welt wandern. Was ich sehe, macht mich ganz benommen. Ein Grashalm ist für einen freigelassenen Gefangenen genauso wunderbar wie ein weitläufiges Tal. Ich wehre mich gegen alles, was mich von diesen Entdeckungen ablenkt. Ich will weder schlafen noch essen. Es fällt mir schwer, meine Gedanken auf die Angelegenheiten der Königin zu richten. Was kümmern mich schon die BingtownHändler, Drachen und Narcheskas? Die Gabe hat meine Vorstellungskraft und mein Herz entfacht. Sie zu erkunden, ist alles, was ich tun will.«
Mich verließ der Mut. Ich erkannte Chades Besessenheit als das, was sie war. Ich hatte ihn schon oft in solch einem Fieberwahn der Faszination gesehen. Hatte er seinen Geist erst einmal auf ein Studiengebiet ausgerichtet, würde er es verfolgen, bis er es in allen Einzelheiten erkundet hatte – oder bis eine neue Faszination seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. »Nun gut.« Ich bemühte mich, in gelassenem Tonfall zu sprechen. »Heißt das, dass du deine Sprengstoffexperimente eine Zeit lang aussetzen wirst?«
Einen Augenblick lang schaute er mich verwirrt an, als hätte er das vollkommen vergessen. Dann antwortete er: »Oh. Das. Ich glaube, ich habe alles entdeckt, was ich darüber wissen wollte. Diese Stoffe können in gewisser Hinsicht sicherlich nützlich sein, aber sie sind zu unzuverlässig.« Er schob das Thema mit einer Geste beiseite. »Ich werde mich erst einmal nicht weiter damit beschäftigen. Das hier ist viel zu wichtig, als dass es warten könnte.«
»Chade«, sagte ich in ruhigem Tonfall. »Du darfst das nicht alleine machen. Vor allem darfst du Dick da nicht mit hineinziehen. Ich hoffe du verstehst jetzt, dass ich das nur aus Sorge um dich sage, nicht um selbstsüchtig irgendein Geheimnis zu bewahren.« Ich atmete tief durch. »Du brauchst eine Grundlage. Sobald meine Kraft wieder zurückgekehrt ist, werden Pflichtgetreu, Dick und ich unsere Studien wieder aufnehmen – du musst mit uns in den Turm kommen.«
Er schwieg und musterte mich eingehend. »Was ist mit Fürst Leuenfarb?« Er neigte den Kopf zur Seite. »Du hast gesagt, er sei auch ein Mitglied dieser Kordiale.«
»Habe ich das?« Ich täuschte Verwirrung vor. »Oh. Er war bei meiner Heilung dabei. Und ich dachte, ich hätte gefühlt … Glaubst du, dass er wirklich etwas zu meiner Heilung beigetragen hat?«
Chade blickte mich seltsam an. »Denkst du nicht, dass du das besser beurteilen kannst als ich? Erst gestern hast du mir erklärt, er hätte es getan.«
Ich
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