Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
bescheiden, als dass er wirklich aus dieser Stadt der Wunder und der Magie hätte kommen können. Als der Narr mir die uralte Krone gezeigt hatte, hatte ich sie sofort erkannt. Ich hatte sie schon einmal gesehen, in einem Traum. In meiner Vision war sie jedoch prachtvoll bemalt gewesen, und leuchtend bunte Federn hatten aus ihr hervorgeragt. Eine Frau hatte sie getragen, und das Volk irgendeiner Stadt der Uralten hatte in seiner Feier innegehalten, ihre spöttischen Worten gelauscht und gelacht. Ich hatte ihren Status als Narr für das Volk interpretiert. Nun fragte ich mich, ob ich die wahre, subtilere Bedeutung des Ganzen vielleicht übersehen hatte. Ich betrachtete die Federn, die ich wie einen Fächer vor mir ausgebreitet hatte, und plötzlich rann mir ein kalter Schauder über den Rücken. Sie verbanden uns, erkannte ich plötzlich. Sie verbanden den Narren und mich, und das nicht nur miteinander, sondern auch mit einem anderen Leben. Rasch wickelte ich die Federn wieder ins Tuch und verbarg sie unter meinem Kopfkissen.
Ich konnte mich nicht entscheiden, was es zu bedeuten hatte, dass die Federn zu mir gekommen waren. Ich wollte noch immer nicht mit Chade darüber reden. Der Narr kannte vielleicht die Antworten, und doch empfand ich einen schmählichen Widerwillen, sie zu ihm zu bringen. Da war nicht nur unser ungelöster Streit, sondern auch die Tatsache, dass ich die Federn so lange besessen und bis jetzt nicht mit ihm darüber gesprochen hatte. Natürlich wusste ich, dass es nicht besser werden würde, wenn ich noch länger wartete, doch ich fühlte mich wirklich zu schwach, um sie ihm jetzt zu zeigen. Also schlief ich jede Nacht mit den Federn unter meinem Kissen.
Spät in der dritten Nacht im Arbeitszimmer drang Nessel in meinen Schlaf. Sie kam als weinende Frau. In meinem Traum stand eine Statue in dem Tränenstrom, den sie vergossen hatte. Ihre Tränen waren wie ein silbernes Gewand, das sie trug, und ihre Trauer ein Nebel um sie herum. Eine Zeit lang stand ich einfach nur da und sah ihr beim Weinen zu. Jede einzelne silberne Träne tropfte von ihrer Wange und verband sich mit den Fäden ihres Gewandes, bevor sie mit dem Bach verschmolz, der an ihren Füßen entlang floss. »Was ist los?«, fragte ich die Erscheinung schließlich.
Doch sie weinte einfach weiter. Ich näherte mich ihr und legte ihr schließlich die Hand auf die Schulter in der Erwartung, kalten Stein zu berühren. Stattdessen drehte sie Augen so grau wie Nebel in meine Richtung, Augen, die aus Tränen bestanden. »Bitte«, sagte ich. »Bitte, sprich mit mir. Sag mir, warum du weinst?«
Und plötzlich war sie Nessel. Sie legte die Stirn auf meine Schulter und weinte weiter. Wenn ich ihr zuvor in meinen Träumen begegnet war, hatte ich stets das Gefühl gehabt, dass sie mich suchte. Diesmal fühlte ich, dass ich zu ihr gekommen war, dass ihr Kummer mich an einen anderen Ort geführt hatte, der normalerweise nur für sie bestimmt war. Ich glaube, das mein Auftauchen sie überrascht hat, doch ich war nicht unwillkommen, nur ungesucht.
Was ist los? Selbst im Schlaf erkannte ich, dass ich über die Gabe zu ihr sprach.
»Sie streiten sich. Selbst wenn sie schweigen, hängt ihr Streit wie Spinnweben im Raum. Jedes Wort verfängt sich in diesem Netz aus Streit. Sie benehmen sich, als könne ich sie nicht beide lieben, als müsse ich mich zwischen ihnen entscheiden. Und das kann ich nicht.«
Wer streitet sich?
»Mein Vater und mein Bruder. Wie du gesagt hast, sind sie sicher nach Hause zurückgekehrt. Doch kaum waren sie vom Pferd abgestiegen, da habe ich das Gewitter gespürt, das zwischen ihnen hing. Ich weiß nicht, worum es geht. Mein Vater weigert sich, darüber zu sprechen, und er hat meinem Bruder verboten, es mir zu sagen. Es ist irgendetwas Schändliches, Finsteres und Schreckliches. Doch mein Bruder will es tun. Er sehnt sich von ganzem Herzen danach. Ich kann mir nicht vorstellen warum. Flink war immer so ein guter Junge: ruhig, bescheiden und gehorsam. Was kann er nur gefunden haben, wonach er sich so sehnt, und was mein Vater so sehr verabscheut?«
Ich fühlte, wie sie in ihrem Geist nach dem düsteren Geheimnis ihres sanften Bruders suchte. Sie sehnte sich danach herauszufinden, weshalb er bei ihrem Vater in Ungnade gefallen war. Sie konnte sich einfach nichts wirklich Böses vorstellen, wozu ein Junge seines Alters imstande gewesen wäre. Das wiederum brachte sie auf den Gedanken, dass ihr Vater irrational reagierte; doch
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