Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Augenblick lang starrte Pflichtgetreu mich verwirrt an. Dann ging er durch den Raum, holte sich einen der schweren Stühle und setzte sich neben mich. Ich sagte nichts, als er sich setzte. Zwar hatte ich unsere jeweilige Stellung nicht vergessen, aber ich hatte bereits beschlossen, dass ich ihn in diesem Raum wie meinen Schüler und nicht wie meinen Prinzen behandeln würde. Einen Augenblick zögerte ich und fragte mich, ob meine offenen Worte ihm gegenüber nicht meine Autorität untergraben würden. Dann holte ich tief Luft und sprach sie aus:
»Mein Prinz, vor gut 20 Jahren saß ich in eben diesem Raum zu Füßen deines Vaters. Er saß hier, in diesem Stuhl, und blickte über das Wasser hinweg und wirkte mit der Magie der Weitseher. Gnadenlos setzte er seine Talente gegen den Feind ein, ohne auf seine Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Von hier aus nutzte er die Kraft seines Geistes, um hinauszugreifen und die Roten Schiffe und ihre Mannschaften zu finden und sie schon weit draußen auf dem Meer zurückzuschlagen, bevor sie an unseren Küsten landen konnten. Er machte Meer und Wetter zu unseren Verbündeten, und verwirrte die feindlichen Steuerleute, die ihre Schiffe prompt auf einen Felsen setzten oder in einen Sturm lenkten.
Ich bin sicher, dass du schon von Gabenmeister Galen gehört hast. Er sollte eine Gabenkordiale schaffen und ausbilden, eine vereinte Gruppe von Gabennutzern, welche den König-zur-Rechten Veritas mit ihrer Kraft und ihren Talenten im Kampf gegen die Roten Schiffe unterstützen sollte. Nun, er schuf eine Kordiale, aber sie waren falsch; ihre Treue galt einzig und allein Edel, Veritas' ehrgeizigem jüngeren Bruder. Anstatt deinem Vater bei seinen Bemühungen zu helfen, behinderten sie ihn. Sie verzögerten Botschaften oder übermittelten sie gar nicht. Sie ließen deinen Vater unfähig aussehen. Um die Loyalität der Herzöge zu ihm zu unterminieren, lieferten sie Menschen an die Korsaren aus.«
Die Augen des Prinzen waren fest auf mein Gesicht gerichtet. Ich vermochte mich seinem ernsten Blick nicht zu stellen. Stattdessen starrte ich an ihm vorbei zu den großen Fenstern hinaus und über die graue wogende See. Dann wappnete ich mich und wandelte über den tödlich schmalen Grat zwischen Wahrheit und feiger Täuschung. »Ich war einer von Galens Schülern. Aufgrund meiner illegitimen Geburt verachtete er mich. Ich lernte von ihm, so viel ich konnte, aber er war mir ein grausamer und ungerechter Meister; stets trieb er mich von dem Wissen fort, das er nicht mit mir teilen wollte. Unter seiner brutalen Anleitung lernte ich die Grundlagen der Gabe, aber nicht mehr. Ich konnte mein Talent nicht vorhersehbar beherrschen, und so habe ich versagt. Gemeinsam mit den anderen Schülern, die seinen Ansprüchen nicht genügten, schickte er mich fort.
Ich arbeitete weiter als Diener hier in der Burg. Wenn dein Vater hart hier oben arbeitete, brachte ich ihm seine Mahlzeiten; das war meine Aufgabe. Hier habe ich auch durch einen glücklichen Zufall herausgefunden, dass ich selbst die Gabe zwar nicht meistern, er jedoch Kraft aus mir gewinnen konnte. Und später, in der wenigen Zeit, die er erübrigen konnte, hat er mich in der Gabe unterwiesen, so gut er konnte.«
Ich drehte mich wieder zu Pflichtgetreu um und wartete. Seine dunklen Augen blickten mich forschend an. »Als er zu seiner Queste aufgebrochen ist, bist du da mit ihm gegangen?«
Ich schüttelte den Kopf und antwortete wahrheitsgemäß: »Nein. Ich war jung, und er hat es mir verboten.«
»Du hast auch nicht versucht, ihm später zu folgen?« Er klang ungläubig. Offensichtlich war seine Fantasie angeregt, und er fragte sich, was er wohl an meiner statt getan hätte.
Es fiel mir schwer, die nächsten Worte auszusprechen. »Niemand wusste, wohin er gegangen war oder auf welchem Weg.« Ich hielt den Atem an und hoffte, dass das seine Frage verhindern würde. Ich wollte ihn nicht anlügen.
Pflichtgetreu wandte sich von mir ab und blickte übers Meer hinaus. Er war von mir enttäuscht. »Ich fragte mich, was anders verlaufen wäre, wenn du mit ihm gegangen wärst.«
Natürlich hatte auch ich darüber oft nachgedacht. Königin Kettricken hätte Edels Herrschaft in Bocksburg nie überlebt, wenn ich fort gegangen wäre. Davon war ich überzeugt. Aber ich sagte: »Diese Frage habe ich mir selbst vielfach gestellt, mein Prinz aber niemand weiß, was in diesem Fall geschehen wäre. Ich hätte ihm helfen können, aber wenn ich heute so auf diese
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