Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
spätestens morgen tot. Dann war das die letzte Falle, in die er gehen würde. Er wählte die Nummer, die er nie mehr hatte anrufen wollen.
Yussuf war sofort am Apparat. „Ich hatte mich schon gefragt, wann du dich melden würdest, Landesverräter.“ Die Stimme klang gefährlich freundlich.
„Ja, auch einen guten Abend, Yussuf, mein Freund. Ich …“
„Nenne mich nicht Freund, Verräter“, fiel ihm Yussuf ins Wort. „Ich weiß, warum du anrufst. Malik ist tot. Er war mein Freund. Und deiner. Sie haben ihn zerstückelt. Er hatte keine Finger, keine Nase, keine Augen und keine Ohren mehr. Nur die Zunge haben sie ihm gelassen. Die Tatsache, dass du noch lebst, bedeutet, dass er dich nicht verraten hat. Du hättest ihn niemals auf diese Juden-Hure in Tanger ansetzen sollen. Sie hat die falschen Leute auf seine Fährte gelockt. Ruf mich nie wieder an, du Hund. Wir melden uns bei dir. Du wirst bezahlen. Sehr bald. Du weißt, was wir wollen. Besorg uns die Codes.“ Die Leitung war tot.
Jules sah aus, als wollte er das Telefon von sich schleudern, doch in weniger als einer Sekunde hatte er sich wieder im Griff. Er musste sich jetzt erst einmal um London kümmern. Yussuf konnte warten. Eines nach dem anderen … Er sah sich nochmals um. Er wusste, dass ihm ein Wagen gefolgt war und er hatte Fonton darin erkannt. Doch im Moment war von diesem nichts zu sehen. Umso besser.
Jules kletterte in die Maschine und startete sofort die Pre-Flight-Check-Routine. Einen Flugplan hatte er bereits telefonisch auf der Fahrt beim Flight Service in Baden-Baden bestellt. Seine dort gespeicherten Daten waren schon an den englischen Zoll weitergeleitet worden. Er hatte angegeben, für die Von-Stetten-Werke unterwegs zu sein, um eine Spätlandegenehmigung für London Biggin Hill zu erhalten.
Jules schloss seine Vorbereitungen ab und warf die Maschinen an. Er wollte eben die Kopfhörer aufsetzen, als er eine Bewegung hinter sich spürte. Er war nicht mehr allein im Cockpit. Unauffällig löste er den Gurt. Dann spannte er alle Muskeln an, schnellte aus seinem Sitz und warf sich auf den Schatten hinter ihm. Ein Mann kam unter ihm zu liegen.
„Beim Barte des Propheten!“, entfuhr es Jules und richtete sich halb auf. „Lukas! Was machst du denn hier?“ Sein Freund antwortete nicht. Und er rührte sich auch nicht. Lukas musste sich beim Aufprall den Kopf in dem engen Cockpit gestoßen haben. Jules rüttelte ihn. Nichts zu machen. Lukas war ausgeknockt.
Jules erwog seine Möglichkeiten. Die Zeit drängte. Wenn er Lukas aus dem Flugzeug warf, hätte er im Nullkommanichts Fonton und seine Meute am Hals. Keine Option. Er brauchte in London Bewegungsspielraum. Blieb also nur, seinen Freund mit nach London zu nehmen. Er zog Lukas in den Passagierraum, setzte ihn auf den vordersten rechten Sitz der für sechs Passagiere ausgerichteten Maschine und schnallte ihn an.
Bevor er endgültig startete, meldete er Lukas noch als Passagier bei FSI an, damit sie seine Daten übermittelten. Fehlte noch, dass er wegen eines unangemeldeten Passagiers in Biggin Hill festsaß. Dann rollte er an, erreichte die zugeteilte Landebahn und startete durch. Als er die gewünschte Flughöhe erreicht hatte, stellte Jules auf Autopilot, setzte die Kopfhörer ab und sah nach seinem Freund. Lukas hatte sich bisher nicht gerührt. Jules fand eine Flasche Wasser und spritzte etwas davon in Lukas Gesicht. Endlich blinzelte sein Freund. Er stöhnte und hob seine Hand, um die Tropfen aus seinem Gesicht zu wischen. „Was ist passiert?“
„Du hast dich gestoßen und warst kurz wegtreten.“
„Wo bin ich?“
„Auf dem Weg nach London.“
„London? Wie …?“ Lukas brach ab und ein wütender Ausdruck löste die kurzzeitige Verwirrung ab. „Du Schuft! Kehr sofort um. Ich muss nach Barcelona.“ Lukas griff nach dem Gurt und wollte sich losmachen. Jules hielt seine Hände mit festem Griff davon ab.
„Warum bist du mir gefolgt, Lukas?“
„Um dich zur Rede zu stellen. Ich weiß, dass du Rabeas Akte geholt hast. Was hast du damit vor? Sie zu verkaufen?“
Jules schüttelte den Kopf. „Calma, Lukas. Du ziehst die falschen Schlüsse.“
„Ach ja? Welche Schlüsse sollte ich denn sonst ziehen? Wenn du eine Erklärung für den Diebstahl der Akte hast, bitte, ich würde sie gerne hören.“
Jules seufzte, rollte mit den Augen und murmelte etwas sehr Unfeines auf Französisch. Lukas schüttelte Jules' Hände ab und befreite sich endgültig von dem Gurt.
Jules
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