Die Amazonen von Darkover
als sie vom Sattler zurückkam, erzählte sie, Lady Rohana habe mit ihrer Begleitung vor drei Tagen auf dem Weg nach Ardais den Scaravel Paß überschritten, und seither sei kein Reisender mehr gekommen.
Bald mußten sie ihre Sattellaternen anzünden, um im Schneetreiben und dichter werdenden Nebel den Pfad zu erkennen. Beide waren sehr froh, nicht allein diesen Weg zurücklegen zu müssen. Es war sehr kalt, und mit zunehmender Höhe wurde auch der Wind kälter und schärfer. Es dauerte nicht sehr lange, dann mußten sie absteigen und durch den knietiefen Schnee stapfen. Der um das Gesicht geschlungene dicke Wollschal wurde von der Feuchtigkeit des Atems, die sofort gefror, zu einer Eismaske.
Nach ein paar Stunden hielt Jaelle zu einer kurzen Rast an und sie kauten Trockenfleisch und gedörrte Früchte. Und da hatte dann Magda eines ihrer schlimmsten Erlebnisse: Todesvögel kreischten in der Ferne. Diese riesigen, blinden Vögel, nicht flugfähige Fleischfresser, heulten und schrien wie eine ganze Hölle voll Geister. Sie lebten ausschließlich über der Schneegrenze und erkannten ihre Beute an ihrer Wärme.
Der enge Pfad erlaubte kein Umkehren, so daß Jaelle zum Weitergehen riet, obwohl sie noch ziemlich schwach war. Die dick verschneite Spur führte zwischen hohen Felsblöcken durch, und Jaelle hoffte, die unmittelbare Nähe der Todesvögel meiden zu können. Aber diese Hoffnung war vergeblich, denn wenig später schrie das Packtier hinter ihnen vor Angst und versuchte, sich gegen einen lautlos herangekommenen Todesvogel zu wehren. Magdas Pferd stieg am Rand des schmalen Pfades und versuchte auszubrechen, und im nächsten Moment stürzte das Packtier. Sofort verbiß sich der riesige Vogel mit dem nackten, bussardähnlichen Kopf in den weichen Unterbauch der Beute und riß ihn auf. Magda zog ihr Messer, um das Raubtier zu verjagen, doch Jaelle hielt sie zurück.
»Es ist zu spät, Margali. Das Tier ist nicht zu retten«, warnte Jaelle. »Soll sich der Todesvogel sattfressen, dann läßt er uns in Ruhe.«
Das war vernünftig, aber das Packtier schrie noch lange, und der faulige Gestank des Raubtiers stülpte Magda den Magen um. Endlich trottete das sattgefressene Tier schwerfällig davon. Am schlimmsten war, daß das Packtier noch immer nicht ganz tot war, so daß Magda es mit einem scharfen Messerschnitt von seinen Qualen erlösen mußte.
Was sie von der Last des Packtieres mitnehmen konnten, legten sie den beiden Pferden auf, und dann stapften sie weiter. Magda war für ein Gefühl der Erleichterung viel zu müde, als sie endlich auf der Paßhöhe standen und es nur wieder abwärts gehen konnte. Jaelle stolperte vor Schwäche und Müdigkeit und schien kaum mehr Kraftreserven zu haben.
Als sie ein Nadelholzdickicht erreichten, wo die Pferde vor dem noch immer ziemlich dichten Schneefall einigermaßen geschützt waren, beschlossen sie, hier das winzige Zelt aufzuschlagen, das ihnen wenigstens notdürftige Wärme und Sicherheit gewährte.
Am Morgen war der Himmel klar, aber es war sehr kalt. Jaelles Wunden sahen schlimm aus, doch Magda konnte sie nur mit dem für das Frühstück erhitzten Wasser auswaschen und einen frischen Verband auflegen. Jaelle aß sehr wenig und ohne Appetit, doch Magda war schon froh, daß sie überhaupt etwas aß. Sie mußte über alle Maßen erschöpft sein.
Sie zeigte auf einen nahen Gipfel. »Sain Scarp«, sagte sie. »Wenn das Wetter hält, sind wir morgen dort. Ich möchte bezweifeln, daß uns Rumal di Scarp als Gäste aufnimmt«, meinte sie lachend, »so daß wir also von diesem Mittwinterfest kaum etwas haben werden. Aber sicher wird sich dein Verwandter lieber mit einem Haferbrei an der Straße zufriedengeben, statt mit Rumal ein Fest zu feiern. Bleibt das Wetter weiter gut, können wir zu Mittwinter in Ardais sein. Von hier aus ist es nicht zu sehen ... Wird es deinen Verwandten nicht kränken, wenn er sich von einer Frau retten lassen muß? Oder kennt ihr Terraner keinen solchen Stolz?«
»Im allgemeinen nicht. Bei uns sind Männer und Frauen in der Regel gleichberechtigt, sogar auf anderen Welten tragen sie die gleichen Risiken und Gefahren.« Aber, überlegte sie sich, Peter wuchs ja auf Darkover auf ...
Ganz plötzlich kam ihr eine Erkenntnis über sich selbst: Die Kindheit prägt den Menschen; keiner der Terraner wäre ihr je als der einzig richtige Partner erschienen, und Peter hatte sie mehr oder weniger deshalb geheiratet, weil sie Kindheitsfreunde waren und er der
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