Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
erwartet den Job.
Holger war zufrieden. Er hatte den König nicht mit dem Hubschrauber gekidnappt, er hatte auch immer noch weder einen Hubschrauberführerschein noch ein Luftfahrzeug oder eine Idee. Aber er arbeitete direkt neben einem Helikopter (beziehungsweise deren drei), er lernte, bekam hie und da eine Gratisstunde von den Piloten und nährte weiter seinen wirren Traum – ganz nach Nombekos Plan.
Mit seinem Dienstantritt zog er außerdem in eine geräumige Einzimmerwohnung in Blackeberg, ein paar Steinwürfe von Bromma entfernt. Der einfältige Bruder von Holger 2 war für überschaubare Zeit aus der unmittelbaren Nähe der Bombe entfernt worden. Optimal wäre es natürlich gewesen, wenn seine eventuell noch einfältigere Freundin mitgegangen wäre, aber sie hatte die Energiefrage (die darauf hinauslief, dass alle bekannten Energieformen von Übel waren) inzwischen gegen die Befreiung der Frau eingetauscht. Dazu gehörte ihrer Meinung nach auch das Recht, als Frau mit siebzehn Jahren Lkw zu fahren und mehr Kissen auf einmal zu tragen als jeder Mann. Daher blieb sie auch im Abbruchhaus und in ihrer Lohnsklaverei. Ihr Freund Holger und sie führten eine Fernbeziehung.
Zu den Dingen, die sich mit der Zeit zu finden schienen, gehörte auch der Allgemeinzustand des amerikanischen Töpfers. Nombeko merkte, dass er bei jedem ihrer Treffen entspannter wirkte. Und dass es ihm half, jemanden zu haben, mit dem er über die Bedrohung CIA sprechen konnte. Sie stand ihm diesbezüglich gerne zur Verfügung, weil es genauso interessant war, ihm zuzuhören, wie damals Thabo, wenn er ihr von seinen Großtaten in ganz Afrika erzählte. Wenn man dem Töpfer glauben wollte, war der amerikanische Geheimdienst überall. Die neuen vollautomatischen Taxizentralen, die jetzt überall im Lande üblich waren, wurden in San Francisco produziert, erfuhr Nombeko. Der Töpfer fand, mehr müsse man dazu überhaupt nicht sagen. Doch als er alle Taxiunternehmen von einer Telefonzelle aus durchtelefonierte, stellte er fest, dass zumindest ein Unternehmen sich geweigert hatte, sich der Führung des amerikanischen Geheimdienstes unterzuordnen: Borlänge Taxi blieb beim manuellen Betrieb.
»Das ist sicher gut für Sie zu wissen, Fräulein Nombeko, wenn Sie in nächster Zukunft mal irgendwohin müssen.«
Da Nombeko nicht wusste, wie weit Borlänge überhaupt von Gnesta entfernt war, war dies – im Gegensatz zu vielen anderen – eine Dummheit des Töpfers, die nicht weiter auffiel.
Der alte Vietnamdeserteur war psychisch zutiefst instabil und litt an zahlreichen Wahnvorstellungen. Aber er war auch wirklich einsame Klasse, wenn es darum ging, Schönheit in Ton und Porzellanerde zu fassen, mit Glasuren in verschiedenen Nuancen von Napalmgelb. Seine Produkte verkaufte er auf verschiedensten Märkten. Jedes Mal, wenn er Geld brauchte, fuhr er mit dem Bus oder Borlänge Taxi zu einem Markt. (Mit dem Zug allerdings nie, denn die CIA und die Staatliche Schwedische Eisenbahn arbeiteten ja, wie allgemein bekannt war, Hand in Hand.) Sein Gepäck bestand aus zwei bleischweren Taschen, gefüllt mit seiner neuesten Kollektion. Und dann war alles innerhalb weniger Stunden ausverkauft, weil er lächerlich niedrige Preise verlangte. Wenn Borlänge Taxi involviert war, schlug die Reise ausnahmslos mit Verlust zu Buche. Anfahrten von zweihundertzwanzig Kilometern waren nämlich nicht gratis. Zu den vielen Dingen, die dem Töpfer nicht in den Schädel wollten, gehörte auch die Sache mit Einnahmen und Ausgaben sowie die Erkenntnis, was für ein großes Talent er war.
* * * *
Nombeko hatte nach einer Weile mit Unterstützung der beiden Holgers und Celestines ein ganz annehmbares Schwedisch gelernt. Mit den Mädchen sprach sie weiterhin Wu-Chinesisch, mit dem amerikanischen Töpfer Englisch. Und sie lieh sich solche Unmengen von Büchern aus der Bibliothek von Gnesta aus, dass sie in Celestines Namen einen leitenden Posten im Literaturverein Gnesta ( LVG ) ablehnen musste.
Ansonsten verbrachte sie so viel Zeit wie möglich mit dem normalen Holger 2. Sie half ihm bei der Buchführung der Kissenfirma und schlug Rationalisierungen bei Einkauf, Verkauf und Auslieferung vor. Nummer zwei freute sich über die Hilfe, aber erst im Frühsommer 1988 wurde ihm klar, dass sie rechnen konnte. Soll heißen: so richtig rechnen.
Es geschah eines schönen Junimorgens. Als Holger ins Lager kam, begrüßte Nombeko ihn mit den
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