Die Asche der Erde
Viele, viele Tonnen. Und eingelagert haben sie es vermutlich in diesen Hütten. Nachdem sie Carthage nun lahmgelegt haben, werden sie das Getreide benutzen, um die Kolonie zu erpressen.«
»Unmöglich. Kinzler weiß doch von unseren Fehlernten. Manche unserer Familien stehen bereits kurz vor dem Verhungern. Er würde niemals die Mittel zurückhalten, die uns das Leben retten könnten.«
»Kinzler hasst Carthage ebenso sehr, wie Buchanan die Camps hasst. Und Kinzler ist lediglich einer der Offiziere. Sein General heißt Sauger. Er hat die
Anna
kontrolliert, er hat Fletcher kontrolliert. Dies ist ihr letzter Schachzug, Nelly. Die Camps wären Sauger völlig egal, wenn Kinzler nicht dabei helfen würde, Drogen herzustellen. Sie vernichten Getreide und verkaufen Rauschgift. So gewinnen Sauger und Kinzler an Macht.«
»Du irrst dich. Kinzler würde sich niemals an solchen Verbrechen beteiligen. Er will nur das Beste für die Camps.«
»Ich habe sein kleines Refugium auf der Halbinsel gesehen. Er holt die Drogen von irgendwo aus dem Ruinengebiet, veredelt sie und verschifft sie dann nach Sankt Gabriel.«
Nelly runzelte die Stirn. »Du hast so viele Jahre gegen Buchanan angekämpft, dass du überall eine Verschwörung witterst. Kinzler repariert auf diesem Gelände die Geräte, die irgendwo geborgen werden konnten. Und er stellt tatsächlich das eine oder andere Mittel her. Zum Beispiel verarbeitet er die Weidenrinde nach Jonahs Rezept, damit wir eigene Aspirintabletten erhalten. Er hat aus Tollkirschen Belladonna gewonnen. Das ist giftig, wenn man nicht aufpasst, also wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Er hat das alles dem Tribunal erklärt. Wir wollten die Anfertigung weiterer Medikamente erlernen. Jonah hat mit vereinfachten Herstellungsverfahrenexperimentiert. In Carthage gibt es übrigens die gleichen schweren Krankheiten, nur nicht so weit verbreitet wie bei uns. Wir möchten jeden heilen.«
»Die Mittel, die Kinzler produziert, kurieren die Leute nicht, sondern kosten sie das Leben«, sagte Hadrian kühl und wünschte sich für einen Moment, er könnte sich einfach wieder in der Musik des Eises verlieren. »Euer Briefwechsel über das Aspirin war noch harmlos. Dann hast du angefangen, dich bei Jonah über andere Medikamente und die zur Herstellung nötige Ausrüstung zu erkundigen. Irgendwann ist ihm ein Ort eingefallen, wo es alles Erforderliche geben würde und der vielleicht noch existierte. Der Pharmabetrieb, in dem seine Frau früher gearbeitet hat.«
Nelly seufzte. »Hat er dir das erzählt?«
»Nein«, räumte Hadrian ein. »Er ist zum alten Hamada gegangen und hat sich ein Buch herausgesucht, ein Branchenverzeichnis mit Karten der besagten Gegend. Dann hat er dich schriftlich gefragt, ob ihr hingehen und nachsehen könntet. Er hat angeboten, euch die Wegbeschreibung aus dem Verzeichnis zu schicken.«
»Kinzler hat mir gesagt, er kenne die Gegend. Dort sei alles zerstört, und wir könnten uns die Mühe sparen.«
»Weil es deren Geheimnis sein sollte, nicht deines. Sie haben dir weisgemacht, es lohne sich nicht, und dann haben sie Hamadas Buch für sich stehlen lassen.« Er achtete auf ihre Miene, um festzustellen, ob sie begriff, was er sagte. »Sie haben den Pharmabetrieb gefunden und stellen dort nun das Rauschgift her, das die Leute umbringt. Es reitet jede Woche ein Versorgungstrupp hin.« Er dachte an das Abendessen mit Nelly und Kinzler zurück. »Du hast erzählt, Shenker sei häufig unterwegs. Wohin reist er?«
»Bei dir klingt das, als hätten Jonah und ich all das erst ermöglicht, als hätten wir diesen Gangstern die Tür geöffnet.«
Als Hadrian nichts darauf erwiderte, wandte sie das Gesicht ab. Sie hatte ihm erzählt, sie leide an Alpträumen, in denen Jonah ihr seinen Tod verzeihe. Unterbewusst wurde ihr also allmählich klar, dass ihre Briefe und Fragen für Jonah den Anfang vom Ende bedeutet hatten. »Diese Männer aus Sankt Gabriel wollten sich mit uns unter einer gemeinsamen Führung zusammenschließen, als vereinigte Front gegen Carthage. Das Tribunal hat das Angebot abgelehnt.«
»Wann? Wie lange liegt diese Ablehnung zurück?«
»Das war zu Anfang des letzten Sommers.«
Hadrian ließ die Seiten aus Jonahs Tagebuch vor seinem inneren Auge Revue passieren. »Du hast dafür gesorgt, Nelly. Weil Jonah dir in einem Brief mitgeteilt hatte, dass Sankt Gabriel von entflohenen Strafgefangenen geleitet wird.«
Sie sagte nichts und zog sich nur die Wollmütze tiefer ins
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