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Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)

Titel: Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Wüllenweber
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Vermögen.
    Vom Arbeitslohn kassiert der Staat im Durchschnitt 45 Prozent Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben. 47 Die Reichen leben vorwiegend vom Gewinn aus Unternehmertätigkeit und vom Profit aus ihren Kapitalgeschäften. Davon gehen im Schnitt lediglich 22 Prozent an den Fiskus. 48 Deutschland hat also eine negative Steuerprogression: Je größer der Reichtum, desto geringer ist der Steuersatz.
    Die für den Geldadel wichtigsten Steuern sind die Kapitalertragssteuer und Körperschaftssteuer, die auf Unternehmens gewinne erhoben wird. Inzwischen beträgt der Anteil der Kapitalertragsteuer am gesamten Steueraufkommen nur noch 2,7 Pro zent. Der Beitrag der Körperschaftssteuer ist sogar noch mickriger: 2,5 Prozent. Nehmen wir zum Vergleich die Tabaksteuer: Sie bringt es auf immerhin 2,8 Prozent. Die Raucher blasen mehr Geld in die Staatskasse als alle Unternehmensgewinne aller Unternehmen zusammen.
    In den vergangenen Jahrzehnten machte noch jede Bundesregierung der besitzenden Klasse schöne Steuergeschenke. Zu Lasten der Mittelschicht, zu Lasten der Arbeitnehmer. Die beinahe revolutionäre Veränderung zeigt sich in Zahlen, die Claus Schäfer von der Hans Böckler Stiftung berechnet hat. 49 Mehrwertsteuern, Mineralölsteuern und Lohnsteuern werden von der Masse der Gesellschaft aufgebracht. 1960 betrug der Anteil dieser »Massensteuern« am Gesamtaufkommen noch etwa 38 Prozent. Die »Gewinnsteuern«, die typischen Steuern der Reichen, hatten einen Anteil von etwa 35 Prozent. Bis 2010 hat sich der Anteil der »Massensteuern« mit 71 Prozent fast verdoppelt, während die »Gewinnsteuern« unter 20 Prozent abgerutscht sind. Die Oberschicht überlässt die Finanzierung des Staates weitgehend der Mittelschicht.
    Tax the Rich!
    Der Rückzug des Geldadels ist kein virtuelles Phänomen, das nur in Tabellen und langen Datenreihen auszumachen ist. Man kann ihn sehen. Mit bloßem Auge. Buchstäblich an jeder Straßenecke. Früher haben die Deutschen überlegen gelächelt, wenn in amerikanischen Filmen die Autos über die minderwertigen US -Straßen hoppelten. Heute sind die Straßen hierzulande genauso bucklig. Die öffentlichen Gebäude sind vielfach in einem räudigen Zustand. Das Land der Dichter und Denker lässt seine Bibliotheken sterben. Universitäten bringen die Regenrinnen inzwischen innen in den Vorlesungssälen an, weil das Geld für die Sanierung der Dächer fehlt. Klassenzimmer werden nur noch gestrichen, wenn Eltern in den Ferien selbst Hand anlegen. In einigen Gemeinden Brandenburgs müssen Anwohner die Straßen zu ihren Häusern in Eigenregie bauen und finanzieren, weil die Kommunen vollkommen pleite sind. Weil der Staat verarmt, lässt Deutschland seine öffentliche Infrastruktur vielerorts verrotten. Die Investitionen der öffentlichen Hand sind mit den Jahren dramatisch zusammengestrichen worden. In den 70er Jahren investierte der Staat – gemessen am Bruttoinlandsprodukt ( BIP ) – drei Mal so viel wie heute. 50 Während das eine Prozent immer mehr Fett ansetzte, hat sich der schlanke Staat zu einem magersüchtigen runtergehungert.
    Ludwig Erhard hat die Reichen noch ganz anders zur Kasse gebeten. Er verlangte von ihnen einen »Lastenausgleich«. Damit sollte die Eingliederung der Vertriebenen finanziert werden. Tatsächlich war es eine Vermögensabgabe, und zwar in einer erheblichen Größenordnung. 1948 wurde der Wert der Vermögen geschätzt. Von diesem Wert mussten die Besitzer glatt die Hälfte abgeben. Nicht alles auf einmal, sondern über 30 Jahre verteilt, macht im Schnitt eine jährliche Belastung von 1,67 Prozent. Der Lastenausgleich hatte immerhin ein Volumen von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes ( BIP ). 51 Gäbe es Erhards geniale Erfindung heute noch, müssten die Vermögenden jedes Jahr rund 27 Milliarden Euro zusätzlich in die Staatskasse zahlen. Damit könnte der Staat die Verletzungen, die von der Finanzkrise in seinen Haushalt gerissen wurden, zwar nicht komplett heilen. Sie würden die Schmerzen jedoch spürbar lindern.
    Ludwig Erhard war kein Kommunist, in seiner Amtszeit als Minister erlebte die Bundesrepublik keinen Sozialismus. Von Wirtschaftsliberalen und von Unternehmern wird Erhard noch heute als die Ikone der Marktwirtschaft, des freien Unternehmertums und der Leistungsgesellschaft verehrt. Zu Recht. Würde heute jemand eine Rückkehr der Vermögenden in die Gemeinschaft der Steuerzahler in der Größenordnung des Lastenausgleichs fordern,

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