Die Asozialen: Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren - und wer davon profitiert (German Edition)
Gesellschaft erzeugt und gelebt wird, ist nur der sichtbare Ausdruck eines tief greifenden Wandels. Der eigentliche Sprengsatz jedoch ist eine Veränderung der Werte- und Moralvorstellungen. Leistung, Disziplin, Fleiß und Fairness, die sogenannten bürgerlichen Werte, sind heute vor allem in der deutschen Mittelschicht beheimatet.
Tricksen als Lebensform oben wie unten
Ober- und Unterschicht hingegen haben das Tricksen zu einem Teil ihrer Lebensform erhoben. Die einen tricksen beim Bezug von Transfergeldern, die anderen bei der Steuer. Ungewollt fördert der Staat diese Verhaltensweise. Das deutsche Steuerrecht und das deutsche Sozialrecht sind die beiden kompliziertesten juristischen Werke in der Geschichte der Menschheit. Das Ideal dieser Paragrafendschungel ist Gerechtigkeit in jedem Einzelfall. Statt ein Gesetz für alle heißt es in Deutschland: allen ein Gesetz. In seinem ständigen Bestreben, auch noch die kleinsten Lücken zu schließen, reißt der Gesetzgeber fortwährend neue, immer größere auf.
Beide Milieus wissen das auszunutzen. Sie verfügen über enormes Erfahrungswissen beim Aufspüren und Ausnutzen solcher Lücken im System, das über Generationen weitergeben wird. Die Vermögenden sind in der Disziplin des Tricksens gegenüber den Transferempfängern jedoch im Vorteil. Schließlich werden sie von einer professionellen, kreativen und boomenden Industrie der Steuervermeidung unterstützt. Wer von Stütze lebt, muss indes selber mauscheln.
Ausgetrickst wird meist die Mittelschicht, denn sie muss zahlen. Die Mitte bezieht keine Transfergelder, die sie mit cleveren Manövern steigern könnte. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge werden den Beschäftigten gleich vom Lohn abgezogen. Selbst mit den 1000 ganz legalen Steuertricks können sie ihr Nettoeinkommen nur unwesentlich aufhübschen. Die Welt des Tricksens bietet einzig den Bewohnern der Parallelgesellschaften große Möglichkeiten, das Konto aufzufüllen, der Mitte nicht.
Skrupel? Die sind weder ganz oben noch ganz unten festzustellen. Im Gegenteil: Weit verbreitet ist die Haltung, man sei moralisch berechtigt, die Regeln zu umgehen. Womöglich, so die Überzeugung, ist nicht alles legal, aber legitim. Ausgetrickst wird schließlich nur der Staat. Beiden Milieus ist eine große Distanz zum demokratischen Staat gemein, zu seinen Institutionen sowie den politischen Akteuren. Bei der Unterschicht gehört es zu den charakteristischen Merkmalen, sich wenig an der Demokratie zu beteiligen. Die Oberschicht, einst die staatstragende Klasse, empfindet heute vor allem Verachtung für das politische Personal und die von Wahlen abhängige Funktionselite des demokratischen Staates. 3
Die Parallelgesellschaften als Wirtschaftsfaktor
Der Ausstieg aus der Mehrheitsgesellschaft passiert nicht einfach. Die mächtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft fördern die Ghettobildung. Weil sie davon profitieren:
Die Hilfsindustrie erlebt ein wahres Wirtschaftswunder, weil sie immer mehr Menschen zu Hilfsbedürftigen erklärt, zu ihren Kunden. So ermöglicht sie erst den Lebensstil der Unterschicht. Auch die Finanzindustrie wuchs in den vergangenen Jahren schneller als jemals in ihrer Geschichte. Sie lebt von der hoch riskanten Spekulation mit echtem und mit virtuellem Geld. Staat und Gesellschaft haben für sie nur die Funktion, das Risiko abzusichern. Die Finanzwirtschaft ermöglicht erst den Lebensstil der Oberschicht.
Die Existenz der Parallelgesellschaften wurde schließlich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Welche Dimension die Ökonomie der Ghettos inzwischen erlangt hat, wird deutlich, wenn man sich die mit ihnen verbündeten Branchen genauer ansieht: Die Hilfsindustrie beschäftigt mit weitem Abstand die meisten Arbeitnehmer in der deutschen Volkswirtschaft. Die Banken verwalten das meiste Geld.
Neben dem Staat und den gesellschaftlichen Organisationen ist die Arbeitswelt das eigentliche Zentrum der deutschen Gemeinschaft, um das sich alles dreht. Auch die integrative Kraft der Arbeit wird immer schwächer. Die Unterschicht zeichnet sich dadurch aus, dass sie am Erwerbsleben gar nicht teilnimmt. Sie lebt fast vollständig von den Werten, die andere erwirtschaften. Auch die Vermögenden lassen sich zu einem großen Teil von Transfergeldern alimentieren. Bei ihnen heißen sie nur anders: Kapitalerträge.
Der Automobilkonzern BMW erlebte 2011 ein Rekordjahr. Norbert Reithofer, Vorstandsvorsitzender von BMW , durfte sich über Bezüge von
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