DIE ASSASSINE
bedeutungslos für uns.
Ich konnte fühlen, wie das Feuer verblasste und die Stimmen des Thrones wieder einsetzten.
Dann verzerrte sich etwas im Thron und zerriss.
Schmerzen stiegen mir vom Bauch in die Kehle und in den Kopf, und das Feuer verließ mich, zog weiter, fegte durch die Stadt hinter mir und auf die Berge zu. Ich taumelte gegen die Steinbrüstung. Ihre raue Oberfläche grub sich in meine Arme, und beinahe hätte ich mich übergeben. Ich atmete flach und rappelte mich auf.
Die Schmerzen verebbten fast so schnell, wie sie eingesetzt hatten.
Ich runzelte die Stirn und lauschte den Stimmen des Thrones. Sie waren leiser als üblich, was für mich jedoch nicht unerwartetkam. Und die Stimme, die das Feuer erkannt hatte, schwieg völlig.
Als ich mich ihr zuwandte, fand ich sie auf den Stufen des Spazierwegs, der zum Palast führte, das Kleid zerrissen und um ihre Hüfte. An ihrem Hals und ihren Brüsten prangten blaue Flecken. Und da war Blut.
Ich stieß sie zurück, schauderte ob ihrer Schmerzen.
Das Feuer hatte sie zerstört. Der Wächter Neville hatte sie vor über tausend Jahren vergewaltigt und getötet.
Ich drehte mich um und blickte zu den Bergen. Das Feuer zeichnete sich hinter ihnen als weißes Licht ab, das bereits verblasste, während ich hinsah.
Ich tastete nach der Stadt, fühlte ihren Puls. Ich hörte bereits ihre Schreie, sah in allen Vierteln Lichter auftauchen. Die Menschen waren in Panik. Manche waren dem Wahnsinn anheimgefallen. Ich spürte die Störung, das unregelmäßige, rasende Pochen der Stadt. Es würde Zeit brauchen, bis alles sich wieder beruhigte.
Aber zumindest hatte das Feuer, woher es auch gekommen war und was immer es getan hatte, hier keinen Schaden angerichtet.
Mit einem Schrei riss ich mich von dem Mahlstrom und den Erinnerungen der Regentin los. Mein Atem ging in abgehackten Stößen. Weitere Erinnerungen brandeten auf mich ein. Ich sah Tausende Tode, sah die Stadt brennen, die Palasttore einstürzen, Mauern bersten, dann den Wiederaufbau, die Erweiterung des Palasts, das Errichten einer weiteren Schicht von Mauern, alles binnen eines Lidschlags. Sonnenuntergänge tosten an mir vorüber, Sternenhimmel, Gärten, Ströme, Grotten, Stürme, Blitze, die grell zuckten und nach versengter Luft rochen. Ich wurde geschlagen, erwürgt, erdolcht, bespuckt. Ich wurde geküsst, ineine Umarmung gezogen, auf ein Bett, einen Läufer geworfen, gegen eine Steinmauer gestoßen, auf den Sitz einer rumpelnden Kutsche, auf kühles Gras. Ich wurde gegen eine Wand gepresst und ausgepeitscht, auf dem Boden festgehalten und geschändet, während ich schrie, stöhnte, mich aufbäumte, vor Angst wimmerte. Ich wurde gefoltert; heißes Eisen wurde mir ins Fleisch gedrückt, ich wurde verbrannt und geblendet, mir wurden die Zehennägel ausgerissen, mir wurde Holz unter die Fingernägel gestoßen. Ich wurde von Füßen getreten, die sich mir tief in den Bauch bohrten. Ich wurde ertränkt; Wasser schwappte über meinem Kopf zusammen, kalt, furchterregend und einladend. Ich hörte das Lachen meiner Mutter.
Ich klammerte mich an der Erinnerung fest, am Nymphenbrunnen, am Gefühl des Wassers, das mir in die Nase und in die Ohren drang und den Lärm der Welt dämpfte, das alles in ein Windgeräusch zusammenfallen ließ, in einen grauen Schleier, den Wellen von der Oberfläche des Wassers über mir erfüllten. Dort sah ich schattige Schemen, gespiegeltes, gebrochenes Sonnenlicht, gleißend und grell. Aber das war fern, über dem Wasser.
Unter dem Wasser gab es nur mich. Nicht den Mann, der bei der Erschaffung der zwei Throne in sie hineingesogen wurde. Nicht die Frau, die auf den Stufen des Spazierwegs vergewaltigt worden war. Nicht die Frau, die das Feuer vom Turm des Palasts aus bezeugt hatte.
Nur Varis.
Ich spürte, wie etwas anderes tief in mir sich in den Vordergrund drängte. Jemand, der noch sehr jung war, höchstens sechs. Eine Person, die an jenem Tag am Brunnen gestorben war, als sie den Tod ihrer Mutter durch die Hände der roten Männer mit angesehen hatte.
Ash.
Der Name war nur ein Flüstern, ausgesprochen von der Stimme meiner Mutter. Der Name, der mir gegeben worden war und den ich Erick nicht offenbaren konnte, als er mich danachgefragt hatte. Aber das kleine Mädchen, das vor elf Jahren im Nymphenbrunnen gestolpert und gefallen war, stand nun neben mir. Ich konnte sie fühlen.
Wir ertranken beide. Varis und Ash. Vereint starben wir im Thron.
Ich konnte mich vom Thron verzehren
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