Die Augen
Seite.« John hielt seine Stimme nüchtern.
Maggie blieb einen Augenblick stehen, um sich zu sammeln und langsam die Tür zu ihrer inneren Wahrnehmungsfähigkeit aufzustoßen. Beinahe sofort roch sie das Blut, und es war nicht leichter zu ertragen als beim ersten Mal, dick und widerlich hing es ihr in der Nase.
Doch diesmal zwang sie sich, sich darüber hinwegzusetzen, mit ihren Sinnen jenseits des widerlich süßlichen Geruchs zu tasten.
»Maggie?«
»Mir geht’s gut. Es … fühlt sich irgendwie anders an.«
»Inwiefern?«
»Ich weiß nicht genau.«
Sie ging langsam und vorsichtig den Korridor entlang zur Rückseite des Gebäudes, wo sich ein Dutzend Zimmer befanden, deren Türen schon lange fort waren und deren zerstörte Türrahmen schief in der Wand hingen, so als hätte ein Kind sie gemalt.
»Unheimlich, dieses Haus, sogar mit nur fünf Sinnen«, murmelte John.
Maggie wollte ihm sagen, dass es mit zusätzlichen Sinnen noch viel unheimlicher war, doch ihre Aufmerksamkeit richtete sich wie ein Tunnelblick auf jenen besonders schiefen Türrahmen auf der linken Seite, der sie unwiderstehlich anzog. Der Blutgeruch wurde stärker, und damit einhergehend blitzte immer wieder Dunkelheit auf, sehr ähnlich wie dort wo er Hollis zurückgelassen hatte. Blitzartige Eindrücke von Dunkelheit, Schmerzen und panischer Angst und …
Warum war es plötzlich so schwer zu atmen?
Warum hatte sie so ein sonderbares Gefühl, als ob ein großes Gewicht oder … ein unsichtbares Wesen … über ihr hinge, sich zu ihr beugte?
Sie hörte nicht einmal, dass Johns Handy zu läuten begann.
17
Scott hatte sich im Konferenzraum zu Quentin gesellt. Er war erschöpft und staubig, konnte jedoch triumphierend zwei weitere Fotos von Opfern, die 1934 ermordet worden waren, an die Pinnwand heften. »Die habe ich in einem Aktenkarton in der Dienststelle Nord ausgegraben«, berichtete er. »Opfer Nummer drei und sieben in dem Jahr.«
Quentin, der über den Akten auf dem Konferenztisch brütete, hielt lange genug inne, um die Fotos zu betrachten. »Sie ähneln jeweils Samantha Mitchell und Tara Jameson.«
»Ja. Das macht bis jetzt sechs Opfer, und sie passen zu unseren sechs. Nennen Sie mich ruhig verrückt, aber ich würde sagen, das ist jetzt ein ziemlich stichhaltiger Beweis dafür, dass unser Mann ein Nachahmer ist.«
Andy war praktisch gleich nach Scott hereingekommen. »Würde ich auch sagen.«
Quentin sagte: »Wir sind doch ziemlich sicher, dass es in dem Jahr acht Opfer gab, oder?«
Scott nickte. »Dem Buch nach zu urteilen, das Jenn aufgetan hat, ja. Aber bis jetzt haben wir noch keine Spur der Polizeiakten für die anderen beiden Opfer gefunden. Ich muss noch zwei Stellen überprüfen, unter anderem einen verteufelt großen Karton mit verschiedenen alten Akten, der aus irgendeinem Grund im Rathaus gelandet ist.«
»Da weiß man doch, wofür man Steuern zahlt«, murmelte Andy. »Tja, wir wissen nicht, ob es uns weiterhilft, wenn wir Fotos der letzten beiden Opfer finden – aber man kann nie wissen. Also bleib dran, Scott.«
»Kannst dich drauf verlassen.« Durch den Erfolg wieder vor Energie strotzend eilte Scott davon.
Andy setzte sich an den Tisch und rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. »Ich bin kaum zehn Jahre älter als er, aber es fühlt sich an wie zwanzig. Himmel, was passiert nach fünfunddreißig mit dem Stehvermögen?«
»Das ist immer noch da«, erklärte ihm Quentin. »Man muss es nur sorgfältiger pflegen. Ich persönlich bin sehr für Nickerchen.«
Andy musterte ihn. »Wie viele hatten Sie denn heute schon?«
»Ich mache nachher eins.« Quentin betrachtete stirnrunzelnd den mit Papieren übersäten Tisch. »Ich bin immer noch auf der Suche nach diesem Detail. Das macht mich wahnsinnig.«
»Immer noch keine Ahnung, wo es sein kann?«
»Bis jetzt nicht. Aber ich weiß, es ist da irgendwo.« Er griff nach der nächsten Akte. »Etwas, das ein Freund oder ein Angehöriger eines Opfers in einer Befragung gesagt hat? Etwas in einem Autopsiebericht oder auf einem Foto vom Tatort? Ich komme einfach nicht drauf.«
Ehe Andy etwas erwidern konnte, klingelte Quentins Handy. Als der Agent das Gespräch annahm, konnte Andy selbst über den Tisch hinweg deutlich eine aufgeregte, dröhnende Stimme hören. Es klang wie ein großer Bär in einer kleinen Höhle.
»Quentin? Hey, Quentin!«
»Ich höre dich, Joey.« Quentin war zusammengezuckt, nun brachte er einen Sicherheitsabstand von einigen Zentimetern
Weitere Kostenlose Bücher