Die Aussortierten (German Edition)
Dieses geringe Selbstwertgefühl führte dazu, dass Hanau ein unangenehmer Besserwisser geworden war, der ständig andere Menschen belehrte, und was die meisten noch viel unangenehmer empfanden, er musste fast zwanghaft andere Menschen entwerten. Dies förderte nicht gerade seine Beliebtheit bei anderen Menschen, und auch Frauen, die er interessant fand und zu denen er freundlich war, hielten lieber Abstand zu ihm. Hinzu kam, dass sein Job beim MEK vollkommen unregelmäßige Arbeitszeiten mit sich brachte. Es konnte sein, dass ihn zu Hause ein Anruf erreichte, und er musste von einem Augenblick zum anderen alles stehen und liegen lassen, um jemanden zu observieren, und dabei konnte es gut sein, dass der Verdächtige nach München oder sonst wo hinflog. Und dann musste er das eben auch. Viele Kollegen verließen nicht zuletzt deswegen nach einigen Jahren das MEK, um endlich mal ein halbwegs geregeltes Privatleben führen zu können. Und jetzt hatte er endlich das Glück, dass eine so attraktive Frau wie seine Nachbarin Janine offenbar Interesse an ihm hatte. Deshalb durfte an diesem Abend nichts schiefgehen! Aber es war im Grunde schon schiefgegangen. Denn er hatte vergessen, ihre Handynummer einzustecken. Mit einem Affenzahn raste er von Oldenburg aus Richtung Rastede, als ihm einfiel, dass er ja noch seine Dienstwaffe bei sich trug – ganz zu schweigen davon, dass er im Dienstwagen fuhr. Das hatte er glattweg vergessen. Scheiß was drauf, dachte er. Um genau 20.07 Uhr fuhr er mit dem Dienstwagen, ein VW Passat, auf den Parkplatz des Wiefelsteder Landgasthofes, ein nettes Restaurant in einem ehemaligen Bauernhaus mit Reetdach. Dort sah er sie schon warten und war heilfroh, dass sie gewartet hatte. Mein Gott sah sie fantastisch aus mit ihrer langen dunkelblonden Mähne! Und dann war sie auch noch Krankenschwester! Irgendwann würde er sie im Krankenhaus besuchen müssen, um sie in ihrer Schwesterntracht zu sehen. Krankenschwestern fand er schon immer sexy. Aber wie sie jetzt angezogen war, eine eng anliegende Jeans, dazu Stiefel. Er bekam beim Anblick ihrer kräftigen, wohlgeformten Beine regelrecht weiche Knie. Würde er diese wunderschönen weiblichen Beine demnächst in seinen Händen halten dürfen? Wenn er sie erst hatte, das würde ihm ein innerer Reichsparteitag sein, sie seinen Kollegen vorzuführen! Das war der Triumph, nach dem er all die Jahre gegiert hatte! In seinem Kopf entstand jetzt ein so wohliges Gefühl, dass es sich fast wie ein Orgasmus anfühlte.
„Hallo Janine“, begrüßte er sie. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ausgerechnet heute ist dieser Idiot, den wir gerade überwachen, noch abends fleißig unterwegs. Das hat die Ablösung verzögert. Ich konnte nicht mal mehr den Dienstwagen zurückbringen. „Und“ – er hob sein Jacket an, so dass sie sein Schulterhalfter mit der Pistole sehen konnte – „die konnte ich auch noch nicht wegschließen.“
„Macht doch nichts“, antwortete sie lächelnd und gab ihm zur Begrüßung einen Kuss auf den Mund, wobei Hanau ihren Duft wahrnehmen konnte. Er spürte, wie seine Knie nun die Konsistenz eines Puddings annahmen. „Mein Gott“, dachte er, „hoffentlich klappe ich nicht gleich vor Aufregung zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass mich eine Frau noch so aus der Fassung bringen kann.“ Seine Aufregung machte ihm Angst. Er wollte mit ihr zusammen sein. Aber er wollte sich auch unter Kontrolle behalten. Er wollte von niemanden emotional abhängig sein. Was sollte werden, wenn er sich in sie abgrundtief verliebte und abhängig von ihrer Zuwendung wurde? Er spürte jetzt Angst. Es war keine wohlige Aufregung mehr. Es war Angst. Sie nahm seine Hand, und so, Hand in Hand, gingen sie in das Lokal. Das tat gut und beruhigte ihn ein wenig.
Nahezu alle Tische waren besetzt. Aber er hatte vorgesorgt und einen Tisch reservieren lassen. Der Kellner führte sie zu ihrem Tisch und brachte auch gleich die Karte.
„Weißt du was? Bei dieser Kälte möchte ich mir mal was Deftiges gönnen. Was hältst du davon, wenn wir uns die Gans mit Rotkohl und Kartoffelklößen für zwei Personen plus Überraschung bestellen?“, fragte sie.
„Prima Idee. Ich hab auch Lust auf was Deftiges. Und was trinkst du?“
„Einfach ein schönes Weizenbier. Ich trink nämlich gern Bier. Ich hoffe, das macht dir nichts aus.“
„Warum sollte es?“ Er winkte den Kellner heran und bestellte für sie beide. Als der Kellner in der Küche
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