Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
den Ferox gekommen, wenn du das Messer nicht benutzt hast?«, fragt Will und sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an.
Ich halte seinem Blick stand und sage möglichst ruhig: » Ich bin nicht für die Ferox ausgewählt worden, sondern für die Altruan.«
Das ist zumindest ein Teil der Wahrheit, denn Tori hat für mich » Altruan« ins System eingetragen. Jeder, der Zugang zu den Daten hat, kann sich davon überzeugen. Ich halte Wills Blick ein paar Sekunden lang stand. Wegschauen wäre verdächtig. Dann zucke ich die Schultern und spieße ein Stück Fleisch mit meiner Gabel auf. Hoffentlich glauben sie mir.
Sie müssen mir glauben.
» Aber du bist trotzdem zu den Ferox gewechselt?«, fragt Christina. » Wieso?«
» Hab ich doch schon gesagt«, erwidere ich feixend. » Wegen des Essens.«
Sie lacht. » Habt ihr gewusst, dass Tris nie einen Hamburger zu Gesicht bekommen hat, ehe sie hierherkam?«
Wortreich erzählt sie die Geschichte unserer ersten gemeinsamen Mahlzeit und meine Anspannung legt sich. Trotzdem habe ich ein flaues Gefühl. Ich sollte meine Freunde nicht belügen. Das schafft Gräben zwischen uns, und davon gibt es ohnehin schon mehr, als mir lieb ist. Christina, als sie die Fahne an sich nahm. Ich, als ich Al zurückwies.
Nach dem Abendessen gehen wir in den Schlafsaal zurück, und ich muss an mich halten, damit ich nicht losrenne. Unsere Bewertungen werden inzwischen aushängen und ich möchte es so schnell wie möglich hinter mich bringen. An der Tür zum Schlafsaal schubst mich Drew gegen die Wand, um vor mir hineinzugehen. Dabei schürfe ich mir die Schulter an der Steinwand auf, aber ich gehe einfach weiter.
Ich bin zu klein, um über die Köpfe der anderen hinwegzuschauen, aber als plötzlich eine Lücke entsteht, sehe ich, dass die Tafel auf dem Boden steht und mit der Rückseite zu uns gegen Fours Füße gelehnt ist. In der Hand hält er ein Stück Kreide.
» Für diejenigen von euch, die gerade erst eingetrudelt sind, erkläre ich, wie das Ranking zustande kommt«, verkündet er. » Nach der ersten Kampfrunde haben wir euch entsprechend eurer Fähigkeiten eingestuft. Die Punktzahl, die ihr erreicht habt, hängt sowohl von dieser Einstufung als auch von der eures Gegners ab. Wenn ihr euch in den Kämpfen verbessert oder jemanden besiegt habt, der eigentlich besser war als ihr, bekommt ihr mehr Punkte. Keine Punkte gab es, wenn jemand einen Schwächeren fertiggemacht hat. Das ist Feigheit.«
Mir kommt es vor, als suchten seine Augen Peter, der in der hintersten Reihe steht, aber er blickt so schnell wieder weg, dass ich mir nicht sicher bin.
» Wenn ihr einen hohen Rang habt, verliert ihr Punkte, wenn ihr gegen einen niederrangigen Gegner verliert.«
Molly gibt einen unfreundlichen Laut von sich, irgendetwas zwischen Schnauben und Grummeln.
» Der zweite Abschnitt eurer Initiation zählt mehr als der erste, denn hier kommt es darauf an, die eigene Feigheit zu besiegen«, fährt er fort. » Dennoch ist es außerordentlich schwierig, am Ende auf einen hohen Rang zu kommen, wenn man schon im ersten Teil schlecht war.«
Ich trete ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und versuche, Four gut im Blickfeld zu behalten. Aber dann mustert er mich und ich schaue schnell weg. Wahrscheinlich ist ihm aufgefallen, wie nervös ich bin.
» Morgen werdet ihr erfahren, wer uns verlassen muss«, verkündet Four. » Der Umstand, dass ihr im Gegensatz zu unseren eigenen Leuten von anderen Fraktionen kommt, spielt keine Rolle. Vier von euch könnten ohne Fraktion dastehen und keiner von den Ferox. Aber es könnte ebenso gut genau andersrum sein. Auch jede andere Kombination ist denkbar. So, und hier sind eure Bewertungen.«
Er hängt die Tafel an den Haken und tritt ein paar Schritte zurück, damit wir alle das Ranking sehen können:
Edward
Peter
Will
Christina
Molly
Tris
Sechste? Das gibt’s doch gar nicht! Dass ich gegen Molly gewonnen habe, muss meine Bewertung stärker in die Höhe getrieben haben, als ich dachte. Und dass sie gegen mich verloren hat, muss ihre Bewertung verschlechtert haben. Mein Blick gleitet ans Ende der Liste.
Drew
Al
Myra
Al ist zwar nicht Letzter, aber wenn die Ferox-Initianten in Phase eins nicht komplett versagt haben, ist er so gut wie weg.
Christina legt den Kopf schräg und blickt stirnrunzelnd auf die Tafel. Sie ist nicht die Einzige. Die Stille im Raum ist bedrückend, ein bisschen so wie das bange Gefühl, einen Felsen bröckeln zu sehen, der jeden
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