Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Besucher

Die Besucher

Titel: Die Besucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ota Hofman
Vom Netzwerk:
»Schwarzen Loch« (so nannte man das Gästezimmer, wo Doktor Noll hauste) verbesserte seine Laune nicht gerade. Noch weniger der verflixte Trixator, der ihm jede Nacht im Schlaf neue Tatsachen und Daten einflößte, wie sie ZD gerade präzisiert hatte. Jene seltsame Welt der Vergangenheit, als verrückte Leute bunte Rädchen für Papierchen, und Papierchen für Stühle eintauschten, war zwar unwiederbringlich verschwunden. An ihre Stelle waren jedoch Ziffern, Maß- und Gewichtseinheiten, Pläne, Landkarten und so weiter gekommen, die man schleunigst auswendig lernen mußte. Dazu gehörten auch die Theorie der Geodäsie, Landvermessung im Gelände, Sportergebnisse, Analysen der politischen Situation, zeitgenössische Witze aus der Lustigen Ecke der Zeitschriften, die Preise von Möhren, Kakao, Mehl und so weiter.

    Geblieben und als einziges klar und von Anfang an unveränderlich war nur die Aufgabe der Expedition. Sie lautete: In diesem Geländewagen am Ende eines unvollendeten Bauabschnitts der neuen Autobahnstrecke Sturmkoppe-Kamenice zu landen, von dort in das brennende Haus Adam Bernaus einzudringen, das Heft aus den Flammen zu retten und zurückzukehren! Die Entscheidung über den Start sollte um sechs Uhr früh fallen. Katja mußte dabei (nicht zum ersten Mal) an einen anderen Morgen denken: An die genau um 6.02 Uhr über dem Zentralkinetodrom aufgehende künstliche Sonne; an den jungen Mann, dem sie begegnen wollte und der sie dort erwartet hatte. Ganz genau waren ihr seine Worte im Gedächtnis geblieben, als er seinen ganzen Mut zusammengenommen und sie gefragt hatte: »Wir haben uns doch schon irgendwo gesehen, oder?« Sie dachte auch an seine letzten Worte, bevor er in die Kabine in Richtung Süd gestiegen war. »Morgen sag’ ich Ihnen mehr! Hier!« Zu jenem Treffen war sie nicht mehr erschienen, da sie sich unerwartet in Katja Jandová aus dem Jahre 1984 verwandelt hatte. Gerade dies war einer der Gründe, warum sie diese Katja (wohnhaft in Königgrätz, Siedlung römisch zwo, Hausnummer zwo vier acht sechs, Strich zwounddreißig; zwei Geschwister namens Peter und Christel, Mutter Postbeamtin, Vater im Schlachthof) so haßte. »Ich werde ihn nie mehr wiedersehen und weiß nicht einmal, wie er heißt«, murmelte sie. Wütend warf sie die Kissen vom Bett. Sie hatte es bisher noch nicht gelernt, richtig darin zu schlafen. Am liebsten hätte sie diesen idiotischen Trixator zerschlagen, der bis zur Verzweiflung seine letzte Weisungen summte, die Katja ohnehin bereits auswendig kannte: »Nach dem Anglühen des Senders warten Sie solange, bis Sie drei unterbrochene Akkorde hören. Das ist das Signal, daß ZD empfangsbereit ist. Sie melden sich dann kurz mit dem Kennwort Besucher...«

    Im Haus waren alle schon wach.

    Auch der Akademiker, der (in einen Teppich eingerollt) in der Nähe des schicksalshaften Fußbodenbretts Nummer 3 lag. Zum ersten Mal sehnte er sich danach, daß es weder Betten, noch eine die Menschheit bedrohende Gefahr geben möge, noch weniger eine Expedition Adam 84, die er leiten und für die er verantwortlich sein solle.

    Noch hatte er genug Zeit aufzugeben. Noch konnte er darum bitten, Johansson, der Erfahrungen von etlichen Flügen zu entfernten Sternen hatte, mit der Leitung der Expedition zu betrauen. Das hieße jedoch zugleich, jenen Traum aufzugeben, der ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte: den Traum von einer Begegnung mit dem Genie.

    Schwitzend erhob sich Philipp von seinem Lager. Ohne Licht zu machen, verließ er das Arbeitszimmer und betrat den Gang. Das Geflüster der Trixatoren erfüllte das Dunkel des Hauses. Die zum Erdgeschoß hinabführende Treppe knarrte. Wie ein Mondsüchtiger schritt er, als erwarte er Rat von ihr, zu der gigantischen Statue, die ihm aus dem Dunkel entgegenleuchtete. Plötzlich entdeckte er, daß er nicht allein war. Zu Füßen der Statue des Genies saßen die anderen Expeditionsmitglieder. In der Luft schwebten die letzten Spuren beißenden Rauchs. (Bei der 26. Lektion am Nachmittag war nämlich Fido, der ausgestopfte Hund des Genies, nahezu verbrannt. Es war jedoch gelungen, Reste dieser Reliquie zu retten.)

    »Wir warten nur noch auf Sie«, bemerkte Doktor Noll und schaltete die Bildschirmwände über ihren Köpfen ein. »Lektion 27. Gut hinschauen, Philipp! Es folgt ein Programm, das Sie uns noch nie vorgeführt haben!«

    Es war die Aufzeichnung der Abendnachrichten im Fernsehen aus dem Jahre 1984. An den Bildschirmwänden brannten Dörfer.

Weitere Kostenlose Bücher