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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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einem Mädchen innewohnenden Kräfte und ihre Fähigkeit widerspiegeln, die natürlichen Eigenschaften der von ihm eigenhändig gesammelten Kräuter zu verstärken. Am Boden von Bets Abschätzungstopf hatte ein Blatt gelegen, klein, aber unverkennbar, ein angespitztes Oval wie das Blatt einer Weide. Schwache Magie und ein trauriges Leben, hatte Mrs. Gittings ihr vorhergesagt, und so war es im Großen und Ganzen auch gewesen, obwohl Elinor und die Jungen ihr viel Freude gebracht hatten. Janets Abschätzung hatte ein Eschenblatt gezeigt; Nan, die Tochter des Müllers drüben in Seave, war mit einem großen Eschenblatt bedacht worden und es hieß, dass sie mehr als stolz auf dieses Zeichen war.
    Aber ein Baum! Als Bet ihre Pflegetochter anschaute, war sie sich deren Seltsamkeit deutlich bewusst. Elinor war nicht ihr eigenes Kind, das konnte sie nie sein; sie war so bleich und groß und ihr goldenes Haar hing ihr offen den Rücken herab wie eine Sonne, die durch Wolken blinzelt; und ihre grauen Augen waren leer und spiegelten nichts wider.
    Schließlich fand Mrs. Gittings die Sprache wieder.
    »’s ist eine Eibe – ein starker Baum. Er bringt Tod und Mühen und langen Kampf; also ist’s kein angenehmes Leben, das du mit dieser Kraft haben wirst, mein Mädchen.« Sie hob den Topf an und schwenkte ihn, sodass das Muster zerbrach; dann goss sie ihn über dem Feuer aus. Es zischte grämlich und erlosch.
    »Bist jetzt eine Frau, Elinor Martindale, also betrag dich auch danach.« Es entstand ein dunkles, atemloses Schweigen; dann ertönte wieder die raue Stimme der alten Frau: »Machst bitte die Tür auf, Bet, ja? ’s ist so schwarz hier wie ein Priesterrock. Kann mich nicht mal bewegen.«
    Janet ließ das Morgenlicht herein. Doll und Kitty schwatzten und kicherten hinter ihren Schürzen und die Kräuterkammer nahm wieder ihren gewohnten, heimeligen Anblick an. Die alte Frau humpelte am Stock auf ihr wohl verdientes Tröpfchen Bier zu. Die Melkmägde begleiteten sie und ließen Bet und Elinor allein zurück.
    Während der ganzen Zeremonie hatte Elinor kein einziges Wort gesagt. Für Bet war das Schweigen ihrer Tochter immer eine friedliche und angenehme Abwechslung vom andauernden Lärm der Jungen gewesen, doch jetzt erschien es ihr unheimlich und unnatürlich. Das Mädchen war doch erst vierzehn Jahre alt. Warum wunderte sie. sich nicht? Warum lachte sie nicht? Warum verlieh sie ihrem Erstaunen nicht laut Ausdruck? Bet erinnerte sich lebhaft an ihre eigene Abschätzungszeremonie und an ihre Hoffnung, die Kräuter würden einen Zweig formen, sowie an ihre bittere Enttäuschung, als sie es nicht taten. Sie hatte ein wenig geweint, aber nicht genug, um Mrs. Gittings Zorn auf sich zu ziehen. Doch nach der Zeremonie hatte sie laut gelacht und sich gefreut, dass sie nun zumindest eine erwachsene Frau war.
    Einen Augenblick lang starrten sich Bet und Elinor kalt über die schwelende Asche hinweg an. Dann zitterte und schluchzte das Mädchen in den Armen der Mutter und drängte sich an sie. Elinor musste sich bücken, um das Gesicht in Bets Schulter vergraben zu können. Traurig streichelte Bet das seidige Haar ihrer Tochter und murmelte: »Psst, mein süßes Kleines. Ruhig, mein Lämmchen. Deine Mutter ist ja da. Ruhig, mein Liebes.« Als ob das große Mädchen wieder ein von bösen Träumen heimgesuchtes Kind wäre.

Frühling

Kapitel Eins

    Als die Tage länger wurden und frisches Grün sowie neugeborene Lämmer auf die Tafel des Königs brachten, entspannte sich William langsam. Die Frühlingssonne schien ihn genauso aufzutauen wie den gefrorenen Boden. Langsam spross sogar ein kleiner Freundschaftskeim in ihm.
    »Man könnte fast schon glauben, dass dieser Mann wirklich ein Mensch ist«, bemerkte Dick Talbot eines Tages Hal Clemin gegenüber. »Na, erst gestern hat er gelacht, als er meine Geschichte über den vergnügten Mönch und die junge Maid anhörte. Du erinnerst dich: der Mönch, der sie bittet, mit ihr das Lager zu teilen, und sie sagt: O nein, ich fürchte das Höllenfeuer, und er sagt: Keine Angst, Süßes, denn ich kann dich sicherlich aus der Hölle herauspfeifen, und sie sagt …«
    »Ich kenn die Geschichte«, schnitt ihm Hal das Wort ab, »und sie ist überhaupt nicht so drollig, wie du glaubst. Wenn William Flower darüber gelacht hat, bezweifle ich, dass er einen so feinen Geschmack hat, wie man behauptet.« Er nahm ein Haarsieb und presste Fruchtfleisch hindurch in einen Behälter. »Was mich angeht, so

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