Die Blutmafia
den Sonnenschirmen, plätscherte ein Springbrunnen. Von irgendwo kam das trockene Plop-plop-plop von Tennisbällen. Und die wenigen Gäste, meist Frauen – gewiß die Ehefrauen irgendwelcher gutbezahlter Manager, die in den Direktionsvillen der kleinen, aber feinen Betriebe der Umgebung zu tun hatten – waren vollauf mit sich selbst beschäftigt.
Rio lächelte Vera an. Doch er war sich noch nicht einmal bewußt, daß er lächelte. Er stand wieder in der langgestreckten, fensterlosen, von Neonlicht durchfluteten Halle, stand dort in einem von einer halbhohen weißen Mauer abgetrennten Abteil. Unzählige farbige Lämpchen gab es hier: Elektronische Anzeigen. Sie flammten auf und erloschen wieder. Sie blinzelten ihn an wie winzige Augen. Um ihn war ein feines elektrisches Summen.
Auf dem Tisch warteten in langen Plastikrahmen Reihen von Reagenzröhrchen. Sie alle waren mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt: Blut. Menschenblut. Blut aus allen Richtungen des Himmels: Blut von Männern, von Frauen, von Alten, von Jungen, von Gesunden und Kranken. Blut, das den Freiwilligen abgenommen worden war, die glaubten, mit ihrer Spende einen guten Zweck zu erfüllen; Blut aber auch aus den ausgemergelten Körpern derjenigen, die keinen anderen Weg fanden, das Elend ihres Lebens zu lindern, als ihren wertvollsten Besitz zu verhökern.
»Im Schnitt verarbeiten wir hier monatlich vierzehntausend Liter Blut.«
Obwohl Hochstett leise gesprochen hatte – leise, verdrossen, beinahe mechanisch so, als habe er sich entschlossen, den Mann Rio Martin einfach nicht mehr wahrzunehmen und statt dessen sein Besucherprogramm abzuspulen –, schwang Stolz in seiner Stimme: »Vollblut interessiert uns nicht. Das ist Sache des DRK. Wir veredeln das Blut, verarbeiten es zu Produkten, ohne die ein Fortschritt in der Medizin überhaupt nicht mehr denkbar wäre …«
Vierzehntausend Liter? Hundertachtundsechzigtausend Liter sind das im Jahr! Ein See von Blut, abgezapft, gekühlt, konserviert, durch die riesigen Batterien von Zentrifugen gejagt, die dort drüben hinter den Glasscheiben funkelten.
»Selbstredend wird jeder unserer Spender genau erfaßt – sowohl seine Herkunft und sozialen Umstände als auch der körperliche Zustand werden nach den Richtlinien der Bundesärztekammer kontrolliert.«
Tak-tak-tak … machte ein Automat und ließ seine Lichter tanzen. Zentimeterweise rückten die Reagenzgläser mit dem asphaltdunklen Blut den behandschuhten Händen der weißvermummten Laborantin entgegen, die ihn bediente.
»Wir sind sehr flexibel, vor allem, was unsere Produktpalette angeht. Sie wird ständig den Markterfordernissen angeglichen. Nun, Plasma ist ein äußerst vielseitiges Ausgangsmaterial …«
Tak-tak-tak …
»Plasma ist in hohem Maße eiweißhaltig. Es bleibt zurück, wenn die zellulären Bestandteile, also die roten und die weißen Blutkörperchen, und auch die Blutblättchen abgetrennt werden. Grundsätzlich besteht es zu einundneunzig Prozent aus Wasser. Aber darin sind äußerst aktive biologische Substanzen enthalten: Eiweißkörper, Nährstoffe, Stoffwechselprodukte, Enzyme, Hormone und Vitamine …«
Rio starrte auf das fettglänzende Fischgerippe und hatte wieder Dr. Hochstetts Stimme im Ohr.
»Wie Sie sehen, tragen alle unsere Mitarbeiter Schutzanzüge. Und dazu Gesichtsmasken. Im Umgang mit diesem Stoff muß auch die kleinste Schlamperei ausgeschaltet werden. Der Automat, vor dem wir jetzt stehen, ist ein Test-Automat. Wir kontrollieren alles. Nicht nur Aids, auch andere Krankheiten können übertragen werden. Hepatitis, Malaria, alles mögliche …«
Tak-tak-tak machte der Test-Apparat.
»Das Wissen um die Verwendungsmöglichkeiten des Plasmas ist noch relativ neu«, dozierte Hochstett weiter. »Der Durchbruch kam eigentlich erst in den vierziger Jahren. Es waren die Amerikaner, eine Forschergruppe der Harvard University. Dazu kamen neue Erkenntnisse … Wie auch immer, ohne Blutprodukte wäre die moderne Medizin überhaupt nicht denkbar.«
»Und was sind das für Produkte?«
»Oh, da haben wir zum Beispiel die Immunglobuline. Sie helfen bei den schwersten Infektionskrankheiten. Denken Sie an eine Bauchfellentzündung oder eine allgemeine Sepsis. Immunglobuline räumen mit Viren, mit Bakterien und mit Toxinen auf. Dann natürlich die Gerinnungsfaktoren. Sie kennen ja diese unglückseligen Vorfälle, die die Bluterpatienten trafen und die eigentlich den ganzen Skandal erst ausgelöst
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