Die Blutmafia
Kartons. Ursprünglich hatte er für den Versand von Büchsenmilch gedient. Der Karton war nicht höher als zehn Zentimeter. Und darin war nicht Büchsenmilch, sondern darin standen, einer hinter den anderen gereiht – Plastikbeutel. Es mochten zwei Dutzend, vielleicht sogar noch mehr sein. Ihr gefrorener, grautrüber Inhalt beulte die rechteckige Form der Behälter aus. »Blut verdirbt leicht.« Rio erinnerte sich wieder an Hochstetts Erzählungen. »Zellen sind lebendige Materie, verstehen Sie. Man kann sie nicht länger als zwei bis vier Wochen am Leben erhalten. Plasma jedoch, tiefgefroren und getrocknet, ist fast unbegrenzt haltbar.«
»Gib mir mal die Lampe, Bruno.«
Rios Fingerspitzen wurden gefühllos, als er den ersten der Beutel anfaßte und hinüber zu dem kleinen primitiven Tisch in der Ecke trug, auf dem die Bürolampe brannte und der wohl als Schreibtisch gedient hatte.
»Mensch, ist das vielleicht 'n altes Zeug!« Brunos Flüstern klang beinahe ehrfürchtig. »Die stammen ja aus dem Jahre neunzehnhundertneunundachtzig.«
Ja. Neunzehnhundertneunundachtzig. Das Jahr, in dem Reissner sich infiziert hatte. Wo war die Nummer? Auf dem Beutel war sie nicht zu entdecken, aber hier, auf dem verfleckten Etikett direkt neben der Aufschrift ›Bio-Med: 13.986‹.
Pech! So ein verdammtes Pech! Eine Tausenderreihe später als die Plasmabehälter, die Novotny im Max-Ludwig-Krankenhaus beschlagnahmt hatte. Trotzdem: Sie würden einige Beutel mitnehmen, und die mußten untersucht werden. Ein einziges überlebendes Virus, ein Ding von unvorstellbarer Winzigkeit reichte völlig aus. Es würde sich vermehren und jede Infusion in eine tödliche Zeitbombe verwandeln.
»Gut«, brummte Bruno, »und jetzt bist du ganz schlau, oder?«
»Nee. Vielleicht werd' ich's noch.«
Er schloß die Tür. »Schauen wir uns noch ein bißchen um, Bruno. Das Zeug nehmen wir nachher mit.«
»Den ganzen Karton?«
»Vier oder fünf Beutel.«
»Aber die sind doch tiefgefroren.«
»Bis wir zurück sind, hält das schon. Im Hotel müssen wir uns halt was einfallen lassen.«
Er ging zu dem Tisch in der Ecke und zog die Schublade auf – so leer wie die ersten beiden Schränke. Nicht einmal eine Büroklammer befand sich darin. Die Schublade war ausgeräumt worden, das stand fest. Dieser Bio-Med-Mensch Lars Boder mußte Gründe dafür gehabt haben. Und die galten sicher für das ganze Haus.
»Komm, schauen wir mal in der Garage nach. Vielleicht gibt's dort 'ne Tür rüber in seine Bude.«
Bruno nickte.
Viel Mühe hatten sie sich nicht gemacht, als sie einen primitiven Gartenanbau in die Einmannfirma ›Bio-Med‹ verwandelten. Und viel Geld war wahrhaftig auch nicht verschwendet worden. Die beiden Räume – der eine, der als Hauptattraktion die Kühlwand aufwies, und der andere, in dem die leeren Regale standen – waren wenigstens von innen geweißelt worden. Auf der anderen Seite der Mauer sah man nur das triste Grau der Hohlblocksteine, die den geschäftlichen Teil der Garage abtrennten. Und sonst? Schwarze Ölflecken auf dem Zement. Hier paßte gerade noch ein Wagen rein. Und nicht mal ein großer. Ja, dort, in der Ecke, die farbenprächtige Stange … Beim näheren Hinsehen entpuppte sie sich als ein zusammengerolltes Segel. Es gehörte zu einem Surfbrett. Von dem Surfbrett jedoch war nichts zu entdecken. Rio dachte an den Karton mit den Muscheln, der dort drüben einsam auf einem der Regale stand, und sah diesen Lars Boder im Geist über irgendwelche Wellen preschen.
»Meinst du, wir kommen da rein?«
Sie standen vor einer schmalen Nut- und Federkonstruktion von Türe. Das Schloß daran war so einfach, daß es Bruno noch nicht einmal für nötig hielt, zu nicken. Er klimperte nur mit dem Schlüsselbund, an dem er seine Geheimwerkzeuge angehängt hatte. Die Tür ging auf.
Die Luft war abgestanden. Die beiden Männer gingen auf Zehenspitzen hinein. In der Küche auf der Spüle standen Teller mit angeklebten, undefinierbaren Soßenresten. Daneben eine Tasse. Der Kaffee darin war längst eingetrocknet. Im ersten Stock ein für die ärmliche Möblierung geradezu protziges Rattanbett. Auch hier hatte sich niemand die Mühe gemacht, Tücher zu glätten oder Betten abzuziehen. Der helle Fleck aus Rios Lampe streifte das Bild, das auf dem Bettbord stand: Es zeigte einen dunkelhaarigen, dicklichen Typen mit einem Schnauzbart, der mit dem linken Arm strahlend ein Mädchen umfangen hielt. Der Hintergrund: Playa. Aber keine spanische …
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