Die Botschaft Der Novizin
einen Knüppel über den Kopf geschlagen.« In der Helligkeit des flammenden Gebäudes stellte Isabella eine dunkle Wunde am Hinterkopf des Paters fest, die bereits von getrocknetem Blut bedeckt war. Er konnte sie sich nicht erst eben bei einem Sturz zugezogen haben. Der Pater und der Fremde waren somit ganz offenbar nicht dieselben Personen, was Isabella vorerst beruhigte.
Ein Funkenregen ließ sie aufblicken. Das Feuer fraß sich durch die Decken des Palastes und prasselte wie in einem gut bestückten Kamin. »Wir müssen zurück«, erklärte Padre Antonio störrisch. »Wir müssen retten, was zu retten ist.«
»Es ist nichts mehr zu retten, Padre. Alles verbrannt. Niemand kommt mehr an die Rollen und Kodizes heran.« Sie besah sich den Pater stumm, der sie verständnislos anstarrte und aus dessen Augen sie den Schmerz herauslesen konnte. »Wie kommt Ihr in den Palazzo Contarini?«, fragte Isabella nach.
»Wie kommt Ihr ...?«, versuchte er auszuweichen, doch Isabella blieb unerbittlich.
Sie legte ihm ihre Hand auf die Brust und übte Druck aus. »Zuerst Eure Geschichte, dann die meine«, befahl sie, und der Pater fügte sich. Er schloss die Augen und musste sich offenbar konzentrieren.
»Beim letzten Mal hatte ich den Schlüssel zur Eingangstür mitgenommen. Ich wollte zurückkehren und mich umsehen. Als ich sie aufschloss und aufstieß, erhielt ich von hinten einen Schlag gegen den Kopf – das war’s. Aufgewacht bin ich, als mir jemand brutal in die Seite getreten hat.«
»Das war ich. Ich bin über Euch gestolpert«, gab Isabella zu. »Wer war der Mann, der Euch niedergeschlagen hat?«
»Ich ... ich habe ihn nicht gefragt«, entgegnete der Pater bissig und betastete sich die Stelle unterhalb der Platzwunde, an der eine Beule zu wachsen begann.
»Es wäre wichtig. Der Kerl hat die Bibliothek des alten Contarini in Brand gesetzt und vermutlich den Bibliothekar selbst und die Äbtissin umgebracht.«
Der Lichtschein des brennenden Hauses beleuchtete ihren kleinen Unterschlupf gespenstisch. Isabella sah, wie sich die Augen des Paters öffneten und immer größer wurden.
»Der Bibliothekar ...!« Der Pater rappelte sich auf.
»Er war bereits tot«, stellte Isabella nüchtern fest. »Nur Gott kann ihm noch helfen.«
Sie schwiegen beide und hingen für eine ganze Zeit ihren Gedanken und dem Brüllen der Flammen nach, das untermischt war vom Geschrei der Venezianer. Unzählige hatten sich bereits eingefunden und halfen beim Löschen. Gondeln bildeten zusätzliche Brücken über die Kanäle. Die Gondoliere reichten gefüllte Wassereimer aufs Land, ruderten die Menschen an die Flammenhölle heran. Unablässig vernahmen sie das Zischen des auftreffenden Wassers und das Klatschen der Kübel, die in den Kanal getaucht wurden. Rufe und Schreie tönten durch die Nacht.
»Ich hatte gehofft, die Bibliothek hielte eine weitere Botschaft für mich verborgen, die mich zum Klosterschatz führen könnte. Zu spät«, setzte der Pater resigniert hinzu.
»Auch dieser Fremde hat etwas gesucht.« Isabella und der Pater sahen sich lange in die Augen.
»Ihr glaubt, der Unbekannte hat das gesucht, was wir nicht finden konnten?«, versuchte Padre Antonio kompliziert auszudrücken, was durchaus einfach war.
»Ja. Er suchte das Manuskript, das Evangelium der Mutter Maria. Er glaubte vermutlich, ich hätte es dem Bibliothekar gebracht.«
KAPITEL 60 Padre Antonios Schädel fühlte sich an, als wäre er in kleine Teile zerborsten und würde nur noch durch die Haut zusammengehalten. Er fürchtete, die Knochenstücke könnten verrutschen, wenn er den Kopf schief legte oder ihn senkte. Außerdem kam es ihm vor, als würde die gesamte Stadtinsel, vor allem jedoch der Bereich unterhalb seiner Beine, wie ein Schiff schwanken – und ihm war übel.
»Wer war dieser Fremde?«, fragte er nach, obwohl es ihm schwerfiel, die Gedanken zu fassen und sie in eine Ordnung zu bringen, die eine verständliche Frage zuließ.
»Ich weiß es nicht. Er ... «, Isabella stockte, und der Pater dankte ihr dafür, dass er Zeit fand, das Gehörte in seine zerrüttete Verstandeswelt einzulassen, »... er hat mich erkannt. Mich mit Namen angesprochen. Und ich glaube, ich kenne ihn auch!«
Padre Antonio stützte sich auf die Schulter der Educanda. Obwohl ihn die Unruhe immer wieder zurücksehen ließ, begleitete er Isabella zum Kloster, wobei ihm nicht ganz klar war, warum sie unbedingt dorthin zurückwollte. Hinter ihnen raubten die Flammen eine
Weitere Kostenlose Bücher