Die Braut des Freibeuters: Er beherrschte die Meere - doch sie war die Herrin seiner Sinne (German Edition)
Bewusstsein raubte – sie in seine Arme führten. In die Arme eines Mannes, den sie nie wiedersehen würde, der vielleicht längst tot war.
Aber vielleicht, dachte sie, ist das auch besser so. So bleibt es ein Traum, der nur mir gehört. Und von dem keiner jemals erfahren wird.
Vanessa hatte sich schon vor Sonnenaufgang aus ihrer Kajüte an Deck begeben. Sie stand nun an der Reling und beobachtete, wie die Sonne am Horizont höher stieg. Eine trübe Stimmung erfasste sie. Sie dachte plötzlich an ihre Eltern, die sie verloren hatte. Und vor allem an Albert. Tränen traten ihr in die Augen, und sie wischte sich verstohlen darüber. Sein Tod war nicht unvorbereitet für sie gekommen, aber obwohl er sie nun schon vor über einem Jahr verlassen hatte, vermisste sie ihn immer noch. Sie sehnte sich nach seinem nachsichtigen Lächeln, mit dem er ihr manchmal stürmisches Temperament im Zaum gehalten hatte, seinen liebevollen Umarmungen, der Wärme seiner Zuneigung, die sie in den vergangenen Jahren begleitet hatte. Albert war ein ernster Mann gewesen, hatte jedoch an der freien, unbeschwerten und fröhlichen Art seiner jungen Frau Gefallen gefunden.
»Ein trostloser Anblick, nicht wahr, Madame «, erklang eine ruhige Stimme neben ihr, und sie zuckte wie ertappt zusammen. Martin war unbemerkt von ihr neben sie getreten und blickte nun ebenfalls nach Osten, wo die Strahlen kräftiger wurden. »Man könnte fast schwermütig werden«, fügte er hinzu. »Aber es wird gleich besser. Wenn die Sonne aufsteigt, vertreibt sie nicht nur die Dunkelheit, sondern auch die traurigen Gedanken.«
Vanessa legte ihre Hand auf seinen Arm, mit dem er sich auf der Reling aufstützte. Er wandte sich ihr lächelnd zu, und Vanessa fühlte, wie die väterliche Zuneigung in seinen Augen ihr Inneres, das soeben noch traurig und kalt gewesen war, erwärmte. Sie kannte Martin seit ihrer Kindheit; ihr Vater hatte ihn einmal von einer seiner Reisen mitgebracht. Ihre Mutter, die damals noch gelebt hatte, war dem neuen Diener ziemlich reserviert begegnet. Aus einem unbekannten Grund hegte sie eine gewisse Abneigung gegen diesen etwas finsteren, wortkargen Mann, der in den Augen ihres Vaters jedoch eine besondere Stellung einzunehmen schien und der sich niemals zu den anderen Bediensteten gesellte, sondern immer für sich blieb. Er begleitete von da an seinen Herrn auf allen seinen Reisen, und Vanessa dachte oft, dass ihr Vater noch leben würde, wäre Martin damals, als er auf dem Weg nach Paris von Wegelagerern überfallen und erschlagen worden war, an seiner Seite gewesen.
Sie hatte Martin immer gemocht und schon als Kind keine Scheu vor ihm gehabt. Als kaum Sechsjährige war sie bei ihm gesessen, um ihm zuzusehen, wie er die wunderbarsten Dinge aus Holz schnitzte, und hatte seinen Erzählungen gelauscht, mit denen er allerdings nur sie allein unterhielt, während er allen anderen gegenüber schweigsam blieb. Er war ihr mit seinem grauen Haar damals schon nicht mehr wie ein junger Mann erschienen, aber heute fand sie, dass er keinen Deut älter wirkte als an dem Tag, als er sie nach dem Tod des Vaters ins Haus ihres Vormundes begleitet hatte und seitdem immer treu an ihrer Seite geblieben war.
Sie hatte niemals etwas über seine Vergangenheit, bevor er ins Haus ihrer Eltern gekommen war, herausfinden können, aber ein unbestimmtes Gefühl sagte ihr, dass er zweifellos ein sehr bewegtes und aufregendes Leben geführt haben musste. Von Seiten der Dienerschaft waren ihr einige Gerüchte zu Ohren gekommen, dass er sich nicht immer ganz im Rahmen des Gesetzes bewegt hätte, und eine Zofe hatte sogar einmal behauptet, er wäre der Anführer einer Räuberbande gewesen, den ihr Vater vor dem Galgen gerettet hätte. Vanessa selbst hatte niemals Grund gehabt anzunehmen, dass dieses Gerede der Wahrheit entsprach, obwohl es ihr kindliches Interesse an Martin wesentlich gesteigert hatte. Später hatte sie sich daran gewöhnt, einen zuverlässigen Gefährten ihres jugendlichen Forscherdrangs in ihm zu haben, in dessen Begleitung sie mit dem Segen ihres Vaters sogar weite Ausritte machen durfte. »Solange Martin dabei ist«, war seine Regel gewesen, »darfst du.« Und mittlerweile konnte sie sich ein Leben ohne Martin nicht mehr vorstellen. In ihren Augen war er neben Albert und ihrem Vater der ehrlichste und verlässlichste Mann, der ihr jemals begegnet war.
Martin blieb noch bei ihr, bis die Sonne höher aufgestiegen war, und gab dann mit einem versteckten
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